Zwischen Tanz und Taumel

Noch vor kurzem galt die Mongolei als Wirtschaftswunder - jetzt droht die Staatspleite

  • Jürg Endres und Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.

Ulan-Bator - »Roter Held« - heißt die Hauptstadt, in der fast die Hälfte der drei Millionen Mongolen lebt. Und noch kürzlich schien es, als wüchse der Held zum Riesen. Die Mongolei wies ein sagenhaftes Wirtschaftswachstum auf. 2011 betrug es 17,5 Prozent.

Der Boom beruhte auf Rohstoffen: Kohle, Kupfer, Gold, Silber, Uran, Diamanten, Erdöl, Zink und seltene Erden - die Mongolei gehört zu den rohstoffreichsten Ländern. Den Ausschlag zu dem Boom in den 2000er Jahren gab ein starker Preisanstieg für Mineralien zur Stahlveredelung. Das Land erlebte einen Kupfer-, Nickel- und Molybdänrausch, der auch negative Folgen wie Umweltprobleme, Landkonflikte und Korruption mit sich brachte.

2012 erließ die Regierung ein Gesetz, von dem sich ausländische Investoren, die den Boom vorantrieben und von ihm profitierten, gegängelt fühlten; einige davon zogen Investitionen ab. Doch wurde das Wachstum noch im Jahr 2014 auf 13 Prozent geschätzt. Die Exporte von mehr als fünf Milliarden Dollar gingen zu 90 Prozent auf den Rohstoffsektor zurück, ein Löwenanteil davon wurde nach China geliefert.

Dann ging es rasant bergab. Das Land, dem etwa die deutsche Tageszeitung »Welt« noch vor zwei Jahren für 2015 bis 2019 ein jährliches Wachstum von 7,5 Prozent vorhersagte, liegt heute am Boden. Aktuell wächst die Wirtschaft gar nicht mehr, es droht sogar die Zahlungsunfähigkeit. Die Mongolei ist hoch verschuldet. Allein im kommenden Monat müssen Kreditlasten von 580 Millionen bedient werden, 2018 folgen weitere 800 Millionen.

Hintergrund sind Preiseinbrüche bei Rohstoffen, vor allem beim Kupfer. Als kurzfristiger Auslöser kommt die chinesische Verärgerung über einen Besuch des Dalai Lama hinzu. Vergangenen Herbst stoppte Peking seine mongolischen Projekte und verhängte Strafzölle. Nun braucht der Held kurzfristig Geld. Der IWF und eine Gruppe asiatischer Länder um China wollen das Land mit fünf Milliarden Dollar unterstützen.

Zu welchen Bedingungen das geschehen soll, ist noch unklar. Allerdings weckt besonders das Engagement des IWF, der sich mit rund einer halben Milliarde an dem Kreditpaket beteiligen will, ungute Erinnerungen an die 1990er Jahre.

Die Mongolei war ab 1920 nicht nur das zweite sozialistische Land der Welt. Hier spielte sich im Winter 1989/90 auch eine rasche demokratische Revolution ab. Wenige Wochen nach dem Fall der Berliner Mauer versammelten sich Massen auf dem zentralen Sükhbaatar-Platz in Ulan-Bator, sie forderten Reformen und den Rücktritt der Regierung. Dieser erfolgte schnell, doch blieb die Mongolische Revolutionäre Volkspartei (MAKhN) nach ihrem klaren Sieg bei den freien Wahlen im Juli 1990 an der Macht. Die wirtschaftliche und soziale Realität allerdings gestalteten bald andere Kräfte.

Nach dem Zerfall des »Rats für Gegenseitige Wirtschaftshilfe« (RGW) lag die mongolische Wirtschaft am Boden, der Staat war pleite. Wie der amerikanische Historiker Morris Rossabi eindrucksvoll beschreibt, wurde dem Land von den internationalen Geldgebern eine neoliberale »Schocktherapie« verordnet. Die Mongolei wurde zu einem Testlabor für Strukturanpassungsprogramme und radikale marktwirtschaftliche Reformen, die später in anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks Anwendung finden sollten. In der Mongolei erwiesen sich die Programme als katastrophal: Die maroden Staatsbetriebe wurden nach ihrer Umwandlung in Aktiengesellschaften fast alle geschlossen. Die ohnehin schwache Infrastruktur brach zusammen. Anstatt von Löhnen erhielt die Landbevölkerung Gutscheine und mehr oder weniger wertlose Anteilsscheine an den sich in Auflösung befindenden Staatsbetrieben. Die meisten verloren dieses »Startkapital« schnell, während einige wenige das Geschäft verstanden und den Grundstein für ihren späteren Reichtum legten.

Für das Gros der Mongolen brach, wie viele Zeitgenossen berichten, in der Folge alles zusammen, was über Jahrzehnte mühevoll aufgebaut worden war. Lehrer und Kolchosmitarbeiter bezogen keine Gehälter mehr, Krankenstationen wurden geschlossen, selbst Grundnahrungsmittel wie Mehl und Brot gab es zeitweise nur auf Coupon. Wer noch Arbeit in den landwirtschaftlichen Betrieben hatte, nahm sich als Ersatz für ausbleibende Gehälter Tiere aus den Kolchosbeständen und versuchte, auf eigene Faust zu überleben.

Dies war schwierig, weil die landwirtschaftliche Infrastruktur fast verschwunden war. Besonders die einst staatlich finanzierten Tierärzte fehlten. Es kam zu Tierseuchen, was im Land der Nomaden und großen Viehherden immer besonders kritisch ist. Die Landbevölkerung hungerte, immer mehr Menschen zogen in die aus den Nähten platzende Hauptstadt oder gingen in den informellen, gefährlichen Goldbergbau.

Die Folgen dieser Schockreformen sind besonders außerhalb der Hauptstadt bis heute zu spüren - während bereits die nächste Krise droht.

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