Rassisten verschonen auch Kinder nicht mehr

Rechtsextreme Gewalttaten in Sachsen bleiben auf Rekordniveau / Dresden, Bautzen und die Region Leipzig sind Schwerpunktregionen

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Hemmschwelle beim Ausleben von Ausländerhass sinkt in Sachsen weiter. Das zeigt sich daran, dass zunehmend auch Kinder und Jugendliche zum Ziel von Übergriffen werden. Die entsprechende Zahl stieg im Jahr 2016 auf 73, erklärt die Opferberatung der Regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) Sachsen. Im Jahr davor hatte sie 42 solcher Attacken verzeichnet. Der prominenteste Fall ereignete sich in Sebnitz, wo im Oktober drei syrische Jungen im Alter von fünf, acht und elf Jahren mit einem Messer angegriffen und geschlagen wurden. Die Täter waren Jugendliche. Die RAA registriert aber zunehmend auch Fälle, in denen erwachsene Täter ihren Hass an Minderjährigen ausleben, sagt RAA-Referentin Andrea Hübler. Derlei Vorfälle zeigten auf besonders bedrückende Weise, wie stark sich rassistische Einstellungen bei nicht wenigen Menschen in Sachsen verfestigt haben.

Generell verbleiben rechtsextreme Gewalttaten im Freistaat auf erschreckend hohem Niveau. Die RAA zählte für das abgelaufene Jahr 437 Angriffe. Das sind zwar 40 weniger als im Jahr 2015. Allerdings ist die Zahl der Betroffenen mit 685 noch höher. Vor vier Jahren lag die Zahl der Fälle noch bei 155 und damit um etwa zwei Drittel niedriger. Die jetzigen Zahlen seien die höchsten seit Gründung der Opferberatungsstellen im Jahr 2005, heißt es im RAA-Jahresbericht. Hübler spricht von einer »bedrohlichen Normalisierung«. So lange sich das gesellschaftliche Klima nicht ändere und politischen Bekenntnissen gegen Fremdenfeindlichkeit nicht konkrete Aktionspläne und Handlungen folgten, sei allerdings kein Rückgang zu erwarten, sagt RAA-Geschäftsführer Robert Kusche.

Bei den Übergriffen gibt es deutliche regionale Schwerpunkte. Sie liegen in Dresden, dem Landkreis Bautzen sowie in Leipzig und dem umliegenden Landkreis. In Dresden ereigneten sich allein 114 Vorfälle. Unter anderem wurden beim Stadtfest Ende August Gruppen von Asylbewerbern aus Afghanistan, Irak und Iran angegriffen. Die Täter sollen der Kameradschaft Dresden angehören. Der Vorfall belegt einen Trend, wonach zunehmend »Angreifer in größeren Gruppen auf Gruppen losgehen«, sagt Hübler. Das erklärt die steigende Anzahl von Betroffenen.

Zum Brennpunkt rechter Gewalt hat sich zudem die Stadt Bautzen entwickelt. Dort gab es Brandanschläge auf zwei Unterkünfte für Flüchtlinge, Hetzjagden auf Gruppen junger Migranten, Attacken auf Linke und Übergriffe am Rande von Demonstrationen. Bei einem Vorfall im November gingen einer Attacke Gerüchte über Anschlagspläne durch Geflüchtete voraus, die in sozialen Netzwerken verbreitet wurden. Hübler spricht von »massiver Gewalt, die ganz klar aus dem organisierten Neonazispektrum verübt wurde«. Weiter ermutigt fühlen dürfte sich die Szene, seit ein prominenter Vertreter vom CDU-Landrat und zunächst auch von Bautzens parteilosem Oberbürgermeister zu Gesprächen empfangen wurde.

Beruhig hat sich dagegen die Lage in Freital. Die RAA macht dafür die Festnahme von acht mutmaßlichen Mitgliedern der »Gruppe Freital« im November 2015 und Januar 2016 verantwortlich. Ihr werden Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte zur Last gelegt, zudem Sprengstoffanschläge, versuchter Mord und Körperverletzung. Der Generalbundesanwalt wirft den Beteiligten im Alter von 19 bis 38 Jahren die Bildung einer terroristischen Vereinigung vor; kommenden Dienstag beginnt am Oberlandesgericht Dresden unter großen Sicherheitsvorkehrungen der Prozess. Die RAA-Opferberatung betreut zahlreiche Geschädigte. Das Verfahren habe offenkundig eine abschreckende Wirkung auf die lokale Szene, sagt Hübler. Angriffe habe es nur noch »vereinzelt« gegeben; statt dessen habe man 2016 vorwiegend durch Propaganda auf sich aufmerksam gemacht - wenn auch in teils konzertierten Aktionen im gesamten Stadtbild.

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