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Frauen vor Berglandschaft

Im Kino: »Certain Women« von Kelly Reichardt

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Kelly Reichardt ist zurück, und das ist gut so. Nach einem eher unglücklichen Ausflug in filmischen Aktionismus - mit Drama, Intrige, Komplott, Mord und der Frage nach einer möglichen Rechtfertigung (oder eben nicht) für tödlich endenden Öko-Terrorismus in »Night Moves« - geht die unabhängigste aller US-amerikanischen Filmemacherinnen nun wieder stillere Wege. Aber was für Wege!

»Certain Women« basiert auf drei Kurzgeschichten von Maile Meloy aus zwei verschiedenen Sammelbänden. Diese Autorin ist nicht nur im US-Bundesstaat Montana geboren, sondern schreibt auch über ihr Montana. Reichardt adaptierte diesmal selbst, ohne ihren langjährigen Drehbuch-Koautor Jonathan Raymond. »Certain Women« ist, gleich nach dem wortkargen, landschaftsintensiven, hyperrealistischen (und von Raymond geschriebenen) Frauen-Western »Meek’s Cutoff«, ihr wohl bester Film geworden.

Und natürlich spielt er in Montana. Die Ebenen sind weit dort im amerikanischen Nordwesten, dicht an der kanadischen Grenze. Die Winter sind hart, die Städte klein und licht gestreut, die Rocky Mountains dominieren in der Fernsicht. Vier Frauen (und drei Männer) nimmt Reichardts Film ins Visier, und dass ihre Leben nur lose überlappen, tut der Geschlossenheit des Films keinen Abbruch. Was an und für sich schon eine echte Leistung ist. Drei Episoden also, inhaltlich und geografisch verzahnt, mit den Rockies als kantigem Symbol schwieriger Lebensumstände im Hintergrund der nie weniger als atemberaubenden Bilder. (Von den wunderbar gemixten Geräuschen ganz zu schweigen. In diesem Film Popcorn zu mümmeln, wäre ein Sakrileg.)

Das Wort einer Frau, daran hat sich offenbar seit den Pionierzeiten von »Meek’s Cutoff« nicht sehr viel geändert, hat in dieser Schneewelt weit weniger Gewicht als das eines Mannes. Was Laura (Laura Dern) zum wiederholten Mal erfahren muss. Sie ist Anwältin, kann aber ihren frustrierten Klienten Fuller (Jared Harris) trotzdem nicht überzeugen, dass der Arbeitsrechtsprozess, den sie für ihn anstrengen soll, keine Aussicht auf Erfolg hat. Das glaubt er erst dem männlichen Kollegen, mit dem sie ihn schließlich zusammenbringt. Dass auch Fuller guten Grund hat, an einem unfairen System zu verzweifeln, und dass er deshalb, in die Enge getrieben, zur Waffe greifen wird, ist der einzige offen dramatische Exkurs des Films. Die Dramatik aber hält nicht lange vor - sie wird von Laura ganz unaufgeregt und rational unterbunden.

Auch Gina, gespielt von Reichardt-Muse Michelle Williams, ist Luft für den alten Mann, von dem sie einen Haufen ungenutzter Sandstein-Quader kaufen will, um ihrem Traumhaus ein solides Fundament zu geben. Jener Albert (René Auberjonois) hört nur Ginas Mann zu, dabei ist der von ihren Bauplänen ebensowenig überzeugt wie ihre gelangweilte Teenie-Tochter - und auch sonst nicht eben der loyale Typ, wie man zu Anfang kurz mal sehen konnte. Die historischen Sandsteine wird Gina kriegen. Aber ob sie sich mit so viel Geschichte nicht auch die Altlast einer genderspezifischen Ungleichbehandlung in ihren Hausbau zementiert, die Frage wird am Ende doch massiv im Raum stehen.

Und schließlich die Pferdepflegerin. Deren Darstellerin ist die eigentliche Entdeckung des Films, auch wenn eigentlich Kristen Stewart wie der Besetzungscoup für diesen schmal-budgetierten Indie-Film wirkt. Lily Gladstone bringt in Gesicht und Stimme, in Ruhe und Haltung (und nicht zuletzt mit ihrem Beruf) eine zeitliche und historische Ebene in den Film, die noch weit hinter die Zeit der Pionierfrauen zurückgreift, auf die Williams’ Gina zurückgeht. Wenn die Pferde versorgt sind und es ihr auf der winterlichen Ranch einsam wird, fährt Jamie abends in den nächsten Ort. Und geht, weil vor dem Schulhaus ein paar Autos parken, spontan hinein. So landet sie in einem Abendkurs für nörgelige Lehrer, den die frischgebackene Anwältin Beth (Stewart) widerwillig leitet. Widerwillig, weil sie jedes Mal stundenlang unterwegs ist in dies weitentfernte Kaff und den temporären Job annahm, bevor sie einen andern fand. Für Jamie aber ist Beth eine wahre Offenbarung.

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