Ein Jubel - hörbar bis Madrid

Der FC Barcelona schafft mit dem 6:1 gegen Paris das Unmögliche, die Katalanen streben dasselbe in der Politik an

  • Martin Ling, Barcelona
  • Lesedauer: 4 Min.

Sí se puede! - Ja, man kann es! In Barcelona war am Mittwoch in der ganzen Stadt spürbar gewesen, dass die Remuntada möglich ist: das Übertreffen des Hinspielergebnisses von 0:4 gegen Paris St. Germain. Die Hashtags #Johicrec (Ich glaube daran) und #remuntarem (Wir biegen das um) bestimmten die sozialen Medien. Auf den Straßen wurden sich gegenseitige Aufmunterungen zugeworfen, die Gesichter waren an dem sonnigen Frühlingstag voller Vorfreude auf ein Spiel, indem bisher Unmögliches versucht werden musste: Noch nie in der 25-jährigen Geschichte der Champions League gelang es einer Mannschaft, eine Hinspielniederlage mit vier Toren Unterschied wiedergutzumachen.

Dann kam der Abend des 8. März 2017: Im ehrwürdigen, 60 Jahre alten Camp Nou schrieb der FC Barcelona Geschichte. 6:1 lautete das Ergebnis nach 95 Minuten, die letzten beiden Tore wurden in der Nachspielzeit erzielt. Danach fielen die 96 000 Zuschauer in Ekstase - abgesehen von den geschockten PSG-Fans im Gästeblock. »Sí se puede« tönte es von den Rängen und »Au revoir«. »Sí se puede« auf Spanisch anstatt auf Katalanisch »Sí que es pot« - vielleicht wollten die Fans des FC Barcelona auch in Madrid verstanden werden im Jahr 2017, wo es, wenn es nach den Katalanen geht, noch ein Referendum über die Unabhängigkeit geben soll. Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont war auf der Ehrentribüne und ließ es sich danach nicht nehmen, den Vergleich zum historischen Sieg von Barça zu ziehen: »Nichts ist unmöglich.«

Wie der Asturier Luis Enrique über eine potenzielle Unabhängigkeit Kataloniens denkt, ist nicht überliefert. Barças am Saisonende wegen fortschreitender Erschöpfung scheidender Trainer beschrieb den Erfolg seiner Mannschaft als Sieg des Glaubens: »Niemand hat aufgehört zu glauben, auch nicht nach dem Gegentor. Es war spektakulär, unglaublich emotional. In diesem Wettbewerb bekommst du eigentlich kein schlechtes Spiel verziehen, doch wir haben das Ding gedreht. Ich bin so stolz«, sagte er nach dem Abpfiff. PSG-Trainer Unai Emery kämpfte hingegen auf der Pressekonferenz mit den Tränen: »Wir waren nicht auf der Höhe, um Barças Hunger etwas entgegenzusetzen. Das ist eine ganz schlimme, eine ganz schlechte Erfahrung für mich und meine Mannschaft. Daraus müssen wir lernen.«

Enrique ließ sich seine Genugtuung nicht anmerken, nachdem ihm nach dem Hinspiel indirekt von eigenen Spielern und direkt in den Medien mangelnde Gegneranalyse und Spielstrategie vorgeworfen worden war. Im Gegensatz zum Hinspiel im Pariser Prinzenpark ging auf dem heimischen Spielfeld der Matchplan auf: den Gegner von Anfang an unter Druck setzen und zu Fehlern zwingen. Die Hoffnung auf ein frühes Tor erfüllte sich schon nach drei Minuten als der uruguayische Mittelstürmer Luis Suárez im Strafraumgewirr den Überblick behielt und den Ball über den deutschen Torwart Kevin Trapp hinweg ins Tor köpfte. Die Stimmung im Camp Nou erreichte einen ersten Höhepunkt.

Barças Druck hielt an, der eigene Torhüter Marc-André ter Stegen bekam in der ersten Hälfte bis auf einen harmlosen Weitschuss nichts zu tun. In Großchancen setzte sich der Druck indes nicht um, so dass sich das 2:0 fünf Minuten vor Ende der ersten Halbzeit durch ein von Andrés Iniestas Balldiebstahl eingeleitetes Eigentor des Pariser Verteidigers Layvin Kurzawa nicht abgezeichnet hatte. Aber es war die Initialzündung zu einer unglaublichen zweiten Halbzeit.

Fast direkt nach Wiederanpfiff wurde Linksaußen Neymar im Strafraum gefällt, den Elfmeter verwandelte der Argentinier Lionel Messi mit Wucht. Damit hatte auch der Zweite des lateinamerikanischen Dreizacks MSN (Messi, Suárez, Neymar) getroffen, fehlte nur noch Neymar. Doch vor dessen Endphasenshow gab es eine kalte Dusche. Paris St. Germains Stürmer Edinson Cavani nutzte die zweite Chance seiner Mannschaft zum Gegentor. 3:1 - damit war Paris so gut wie durch, drei Tore in einer halben Stunde auf diesem Niveau gegen einen Gegner wie PSG sind eigentlich unmöglich. In den 17 Spielen davor kassierten die Pariser insgesamt fünf Gegentore. In Barcelona kamen allein in der Schlussphase drei hinzu. Erst ein traumhafter Freistoß von Neymar in der 88. Minute in den Torwinkel, dann ein vom Brasilianer souverän verwandelter Elfmeter in der ersten Minute der fünfminütigen Nachspielzeit.

Aber auch das 5:1 war noch zu wenig. Noch vier Minuten: Sí se puede! Dieses letzte Tor lag in der Luft, der Glaube daran war spürbar. Der eingewechselte Sergi Roberto schoss es: Ihn hatte die Pariser Verteidigung bei Neymars Flanke übersehen, Roberto hob den Ball über Trapp hinweg ins Tor, Sekunden später pfiff Schiedsrichter Deniz Aytekin ab. »Wir waren nach dem Spiel in Paris total niedergeschlagen, aber haben nie aufgehört zu glauben. Die Fans waren heute unser zwölfter Mann. Dieser Sieg ist für sie. Ich kann es immer noch nicht fassen.« Mit seinen Gefühlen war Sergi Roberto in guter und großer Gesellschaft.

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