Ein Notkabinett, das keins sein will

Seit Frühjahr 2016 regiert in Sachsen-Anhalt eine schwarz-rot-grüne Koalition - wie läuft's?

  • Simon Ribnitzky, Magdeburg
  • Lesedauer: 4 Min.

Einen besonders kritischen Moment hat die schwarz-rot-grüne Regierungskoalition in Sachsen-Anhalt rund ein Jahr nach ihrem Amtsantritt gerade überstanden: Der Haushalt für dieses und das kommende Jahr ist beschlossen. Um das Rekordvolumen von mehr als elf Milliarden Euro jährlich wurde bis zuletzt hart gerungen - gerade CDU und Grüne waren sich bei den Schwerpunkten nicht einig. »Wir haben zusammengefunden«, sagt Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) dazu.

Aktuell sind vor allem Abschiebungen nach Afghanistan und die Frage, ob nordafrikanische Staaten sichere Herkunftsländer sind, heikle Themen - vor allem zwischen CDU und Grünen. Konservative CDU-Abgeordnete fordern, die eigene Partei müsse sich stärker gegen den kleinen Partner durchsetzen. Bei Abstimmungen im Landtag kann sich die Koalition viele Abweichler allerdings nicht leisten: weil sich die AfD rund ein Viertel aller Sitze im Magdeburger Landtag sicherte, muss die wegen der Nationalfarben als Kenia bezeichnete Koalition mit der dünnen Mehrheit von zwei Stimmen auskommen.

Auch einige Altlasten stellten das Vertrauen innerhalb der Koalition auf die Probe. Wirtschaftsminister Jörg Felgner (SPD) stolperte über seine Rolle als ehemaliger Staatssekretär im Finanzministerium bei umstrittenen Beraterverträgen, Landtagspräsident Hardy Peter Güssau (CDU) musste wegen der Briefwahlaffäre in seiner Heimatstadt Stendal den Hut nehmen. Da habe es schon Momente gegeben, in denen die Koalition in Frage gestanden habe, räumt SPD-Landeschef Burkhard Lischka ein.

Hinzu kommt: CDU und SPD haben lange gemeinsam regiert, mit den Grünen kam ein neuer Partner hinzu, der manches anders machen wollte. »Da hat es schon mal geraucht und geknallt«, sagt Grünen-Fraktionschefin Cornelia Lüddemann. Beispielhaft dafür steht der Bereich Umwelt und Landwirtschaft. Heftig protestierten Bauern und Verbände dagegen, als das Ministerium mit der Grünen Claudia Dalbert besetzt wurde. Jüngst flammte der Konflikt durch einen offenen Brief von Verbänden an den Ministerpräsidenten wieder auf.

Der Magdeburger Politikwissenschaftler Wolfgang Renzsch hält es deshalb für einen Fehler, dass die Grünen auf dem Bereich Umwelt und Landwirtschaft bestanden haben. »Man weiß ja, welche Punkte den anderen Parteien weh tun - und da muss man ja nicht unbedingt darauf setzen, wenn man zusammenarbeiten will.« Der Wechsel an der Ministeriumsspitze habe viel Unruhe gebracht. Grünenchefin Lüddemann sagt, es sei trotzdem richtig gewesen, aufs Umweltministerium zu setzen. »Die Zeiten der alten Landwirtschaft sind vorbei. Es ist wichtig, hier umzusteuern.«

Auf der anderen Seite stammt auch ein Beispiel für ein Weiterkommen der ungewohnten Regierungskoalition aus dem Umweltbereich: der Kompromiss zwischen dem Land und dem Umweltverband BUND zum Ausbau der A14 im Norden Sachsen-Anhalts, den allerdings nicht alle Umweltschützer gut finden. Die Vermittlerrolle der Grünen wird jedenfalls auch von der CDU gelobt. CDU-Landeschef Thomas Webel bezeichnet den Kompromiss als »ein starkes Stück Kenia.«

Für Renzsch ein Zeichen, dass die Zusammenarbeit in der Sache häufig gar nicht so schwierig ist, wie zunächst angenommen. »In der realen Politik spielen Parteiideologien nicht so eine intensive Rolle.« Die Fachpolitiker der drei Parteien könnten sehr schnell zu durchaus vernünftigen Lösungen kommen. Die Trennlinie läuft dann gar nicht mehr zwischen den Parteien, sondern eher zwischen den verschiedenen Fachrichtungen. »Finanzpolitiker sind sich meist einig, dass sie kein Geld ausgeben wollen. Sozialpolitiker sind sich einig, dass sie Geld ausgeben wollen«, sagt Renzsch.

Es sei klar, dass sich nicht jede eigene Vorstellung in diesem Bündnis umsetzen lasse, sagt Lüddemann. »Wir kümmern uns um das, was wir gemeinsam vereinbart haben.« Jede Partei bleibe aber auch eigenständig und gebe ihre Identität nicht auf. Haseloff sagt, die Koalition bewege sich im Rahmen der Schnittmengen. »Wir klammern die Dinge aus, die zurzeit nicht relevant sind.« Über den Kohleausstieg etwa müsse man nicht in dieser Legislaturperiode entscheiden.

Einen Knackpunkt sieht Politologe Renzsch auch nach dem geglückten Haushaltsbeschluss bei den Finanzen. »Die Politik steht hier vor der Quadratur des Kreises.« Auf der einen Seite kommt man um Mehrausgaben - etwa für Lehrer und Polizisten - nicht herum, andererseits muss der Haushalt konsolidiert werden. Noch immer sitzt das Land auf einem Schuldenberg von über 20 Milliarden Euro.

Es gibt also durchaus Angriffsfläche für die Opposition. Die LINKE kritisiert, es würden noch nicht einmal die Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt. Zudem gebe es eine Kumpanei von Teilen der CDU mit der AfD. »Das erhöht die Fliehkräfte zwischen den drei Koalitionspartnern«, sagt Landeschefin Birke Bull-Bischoff. Die AfD spricht von einem »Zwangskorsett«, dem nur wenig Positives entspringen könne.

Dreierbündnisse seien immer schwieriger als die üblichen Koalitionen aus zwei Parteien, sagt Renzsch. »Aber es funktioniert. Ich glaube, die raufen sich zusammen.« dpa/nd

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