Bundesregierung darf türkischen Politikern Auftritte verbieten

Verfassungsgericht stellt klar: Ankara hat kein Anrecht auf Wahlkampf in Deutschland / Wagenknecht: Berlin »muss jetzt endlich Farbe bekennen«

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Karlsruhe. Im Streit um das Verbot von Wahlkampfauftritten türkischer Regierungsmitglieder lässt das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung ausdrücklich freie Hand. In der Begründung einer abgewiesenen Verfassungsbeschwerde stellen die Karlsruher Richter klar, dass die Bundesregierung das Recht habe, solche Auftritte in Deutschland zu verbieten.

Weder das Grundgesetz noch das Völkerrecht gebe ausländischen Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern einen Anspruch, in das Bundesgebiet einzureisen, um amtliche Funktionen auszuüben, heißt es in dem am Freitag veröffentlichten Beschluss. (Az. 2 BvR 483/17)

Die Bundesregierung plant dennoch keine Einreiseverbote, wie die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer in Berlin sagte. Sie verwies auf die hohe Bedeutung der Meinungsfreiheit. »Was wir von anderen fordern, sollten wir eben selber leben.«

Bislang sind zwar einzelne Veranstaltungen von den betroffenen Kommunen aus Sicherheitsgründen untersagt worden. Die Bundesregierung selbst wurde aber nicht aktiv. Die türkischen Politiker wollen vor ihren gut 1,4 Millionen in Deutschland lebenden Landsleuten für eine umstrittene Verfassungsreform werben, über die am 16. April per Referendum abgestimmt wird. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan will seine Machtbefugnisse damit massiv ausweiten. Ob Erdogan selbst einen Auftritt in Deutschland anstrebt, war zuletzt unklar.

Nun merkt die zuständige Kammer des Zweiten Senats ausdrücklich an, dass solche Auftritte immer von der ausdrücklichen oder stillschweigenden Zustimmung der Bundesregierung abhängen. Politiker, die hier »in amtlicher Eigenschaft und unter Inanspruchnahme ihrer Amtsautorität« auftreten wollen, können sich demnach nicht auf Grundrechte berufen. Würde ihnen der Auftritt untersagt, sei das eine außenpolitische Entscheidung im Verhältnis zweier souveräner Staaten. Das impliziert, dass ein Versagen der Einwilligung nach Auffassung der Richter zumindest keinerlei rechtlichen Bedenken begegnen würde.

Klage gegen Auftritt Yildirims in Oberhausen eingereicht

Im konkreten Fall ging es um die Verfassungsbeschwerde einer nicht näher bezeichneten Privatperson gegen die Wahlkampf-Auftritte. Der Kläger beanstandet insbesondere, dass die Bundesregierung die Rede des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim am 18. Februar in Oberhausen nicht verboten hatte. Damit scheitert der Kläger allerdings.

Der Mann habe »nicht hinreichend substantiiert dargelegt«, inwiefern ihn das persönlich in seinen Grundrechten verletze, hieß es. Eine solche Betroffenheit ist Grundvoraussetzung für einen Erfolg. Die Richter nahmen die Verfassungsbeschwerde daher gar nicht zur näheren inhaltlichen Prüfung an. Deshalb lässt sich auch nichts dazu sagen, ob eine besser begründete Klage womöglich zum Ziel führen könnte. Derzeit sind im zuständigen Dezernat nach Auskunft eines Sprechers keine weiteren Verfahren in diesem Zusammenhang anhängig.

Die Richter hätten die Klage auch ohne Begründung abweisen können. Stattdessen nutzen sie die Gelegenheit für die grundsätzlichen Anmerkungen. Auffällig ist auch, dass die Beschwerde sehr schnell bearbeitet und die Entscheidung rasch veröffentlicht wurde.

Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht sprach mit Blick auf die Entscheidung von »dankenswerter Klarheit«. »Die Bundesregierung muss jetzt endlich Farbe bekennen und darf die Bürgermeister von Städten und Gemeinden nicht länger mit dem Problem allein lassen«, sagte sie.

Mehrheit fordert Auftrittsverbote

In einer repräsentativen Emnid-Umfrage vom Donnerstag hatten sich 76 Prozent der Befragten für ein härteres Auftreten der Bundesregierung gegenüber Ankara ausgesprochen. Nur 21 Prozent möchten bei der bisherigen gemäßigten Linie Berlins verbleiben.

68 Prozent Befragten fordern ein Auftrittsverbot für Erdogan und seine Minister, 64 Prozent wollen die EU-Beitrittsverhandlungen beenden. 33 Prozent der Deutschen sprechen sich für Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei aus, 30 Prozent wollen das Flüchtlingsabkommen aufkündigen.

Obwohl nur eine Minderheit den Flüchtlingsdeal mit Ankara aufkündigen will, hält fast die Hälfte der Bevölkerung den Pakt grundsätzlich für einen Fehler: 49 Prozent der Befragten finden den Deal »eher falsch«, 44 Prozent »eher richtig«. Agenturen/nd

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