Der Weg zum Brexit ist frei

Schottland will in der EU bleiben und strebt ein neues Unabhängigkeitsreferendum an

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Montagabend machte das Parlament den Weg frei für den Beginn des britischen EU-Ausstiegs. Das Unterhaus stimmte gegen die vom Oberhaus befürworteten Änderungen des Brexit-Gesetzes, woraufhin auch die Lords davon absahen, weiterhin Widerstand zu leisten. Die zwei Zusatzklauseln, die eine Mehrheit gefunden hatten, forderten ein Bleiberecht für EU-Bürger in Großbritannien sowie eine Abstimmung im Parlament über den endgültigen Brexit-Deal. Doch das Unterhaus, in dem die Konservativen stärkste Kraft sind, votierte gegen die Änderungen. Damit hat die Premierministerin ihr Ziel erreicht: Wie geplant wird sie bis Ende März in Brüssel das offizielle Gesuch um den Austritt aus der EU stellen.

Nachdem schon die katholisch-republikanische Sinn-Féin-Partei in Nordirland eine Volksabstimmung über die Vereinigung mit der Republik Irland gefordert hatte, kam eine Nachricht aus dem Norden, die May erhebliche Kopfschmerzen bereiten dürfte: Nicola Sturgeon, die Erste Ministerin Schottlands und Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei (SNP), kündigte an, dass sie ein zweites Referendum über die schottische Unabhängigkeit anstrebe. Im Herbst 2014 hatten sich die Schotten mit einer Mehrheit von 55 Prozent gegen die Abspaltung ausgesprochen, womit die Angelegenheit bis auf Weiteres vom Tisch schien. Doch der Brexit änderte das: Bereits am Tag nach der Abstimmung vergangenen Juni hatte Sturgeon angedeutet, dass eine weitere Volksbefragung denkbar sei. Weil die Schotten mit einer Mehrheit von 62 Prozent für den Verbleib gestimmt hatten, würden sie »gegen ihren Willen aus der EU gedrängt«.

In den folgenden Monaten versuchte Sturgeon, der Regierung in Westminster Zugeständnisse abzugewinnen, etwa die Erlaubnis, eine eigene schottische Einwanderungspolitik zu betreiben oder den Zugang zum EU-Binnenmarkt zu behalten. Doch sie sei gegen eine »Mauer der Unnachgiebigkeit« geprallt, ein klares Zeichen, dass Westminster keinerlei Interesse habe, Schottlands Ansinnen ernst zu nehmen. Doch ist keineswegs gesichert, dass Sturgeons Kalkül aufgeht: Laut jüngsten Umfragen halten sich die »Yes«- und »No«-Stimmen etwa die Waage.

May reagierte ungehalten auf die Ankündigung. Besonders der von der SNP-Chefin anvisierte Zeitplan, nach dem das Referendum zwischen Herbst 2018 und Frühling 2019 stattfinden müsse, sei denkbar ungünstig. Das ist genau die Zeit, in der die Verhandlungen über den EU-Ausstieg in die Schlussphase gehen. Theoretisch könnte sich die Regierung in Westminster einer weiteren Abstimmung verweigern. Denn damit sie rechtlich bindend ist, braucht die SNP die Zustimmung von Downing Street. Das wäre jedoch riskant, denn so würde der Eindruck verstärkt, dass sich Westminster über die Wünsche der Schotten hinwegsetzt - die Argumente der Befürworter eines eigenen Staates würden also bestätigt. Allerdings müsste sich Edinburgh im Fall einer Trennung von London um die erneute Mitgliedschaft in der EU bewerben, wie ein Sprecher in Brüssel verlauten ließ.

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