Erst am Anfang der Arbeit

Staat und Industriepolitik sollen nach Ansicht der Gewerkschaften die guten Jobs von morgen schaffen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Freier Eintritt für Mitglieder der IG Metall, ver.di und anderer Gewerkschaften: Sie können die Computermesse CeBIT kostenlos besuchen. Regulär kostet das Dauerticket immerhin über 60 Euro. Die Messe zeigt Trends, die Gewerkschafter angehen. Ein Metaller zählt in gängiger Fachsprache auf: »Digitale Transformation, IT-Security und Social Business, Big Data und Cloud, das Internet der Dinge.« Mit ihrem Thema »d!conomy« stelle die Hannover Messe die rasante Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft in den Mittelpunkt.

Die IG Metall hat ihren Stand in Halle elf aufgebaut. Dabei geht es den Gewerkschaften nicht allein um den Sektor Informationstechnologie- und Telekommunikation (ITK). Der ist mit über einer Million Beschäftigten hierzulande aber immerhin der zweitgrößte industrielle Arbeitgeber. Die von der IG Metall zur CeBIT veröffentlichte Erhebung »Entgelt in der ITK-Branche« zeigt, dass tarifgebundene Angestellte im Schnitt zwölf Prozent mehr Gehalt bekommen als ihre Kollegen in nicht tarifgebundenen Unternehmen. »Das zeigt: Tarifverträge sorgen für deutlich bessere Einkommens- und Arbeitsbedingungen«, sagte Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall, auf einer Abendveranstaltung der CeBIT am Montag.

»Big Data«, »Cloud Computing« und »Industrie 4.0« führen zu einer starken Nachfrage nach Softwarespezialisten. Doch die Digitalisierung verändert auch den Arbeitsalltag, die Arbeitsbedingungen und die Arbeitszeiten in anderen Branchen. Dabei verfestige sich im Mittelstand gerade eine »digitale Zweiklassengesellschaft«, warnt die Beratungsgesellschaft Ernst&Young. Antworten suchen die Gewerkschaften daher nicht allein in Tarifverträgen und aktiven Betriebsräten. Auch die staatliche Industriepolitik sei gefordert.

Ansatzpunkte sieht man in mehreren Bundesländern. Am Rande der weltgrößten Computermesse nahm unter dem Vorsitz des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) ein »digitalRat.niedersachsen« seine Arbeit auf. Dem Gremium gehören 20 Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft an - unter ihnen der Blogger Sascha Lobo und der DGB-Bundesvorsitzende Reiner Hoffmann. Aus- und Weiterbildung seien der Schlüssel für die Zukunft. Und: Der Strukturwandel gelinge mit Betriebs- und Personalräten besser als ohne Interessenvertretungen. »Daher müssen die Mitbestimmungsrechte gestärkt werden«, so Hoffmann.

Die Industrie 4.0 brauche eine »Humanisierungsstrategie 4.0«. Die IG Metall fordert deshalb von den Bundesländern eine aktive Industriepolitik, die Kriterien für gute Arbeit berücksichtigt. IG-Metall-Vorstandsmitglied Wolfgang Lemb mahnte Mitte März auf einer Betriebsrätetagung in Kiel die deutsche Industrie: »Sie muss besser statt billiger sein.« Nach Ansicht der Gewerkschaft setzt die rot-grün-blaue Landesregierung in Schleswig-Holstein mit dem »Bündnis für Industrie.SH« wichtige Impulse für die Industrie 4.0.

»Es hat sich grundlegend etwas geändert, denn die Länder sehen sich und die Politik generell in der Pflicht, die industrielle Entwicklung aktiv mitzugestalten«, heißt es in dem von Lemb jetzt im Campus Verlag herausgegeben Buch »Industriepolitik in den Bundesländern«. Der »naive Glaube« an den Markt, der alles bestens regle, sei mehr oder weniger verschwunden, heißt es da.

Auch in anderen Ländern wie Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen werde Industriepolitik nun »mit neuer Kraft realisiert«. Beispielsweise Sachsen hinke bei Innovationen aber noch hinterher, so Lemb. Es mangele den dortigen Unternehmen am Bewusstsein für gute Arbeit: »Erfolgreiche Industrieentwicklung basiert aber auf qualifizierten Fachkräften.« In anderen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gehöre die Industriepolitik dagegen »gewissermaßen zum guten Ton«. Dennoch warnt die IG Metall vor zu viel Begeisterung: »Im Grunde befinden wir uns erst am Anfang der neu eingeschlagenen Pfade in den Bundesländern.«

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