Ein Regierungswechsel reicht nicht aus

Simon Poelchau meint, dass die LINKE auch in der Opposition nicht machtlos ist

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Volker Kauder ist sauer auf Martin Schulz. Der neue SPD-Chef mache lieber Wahlkampf, als zu einem Koalitionstreffen zu kommen, während die Bundeskanzlerin jeden Tag hart daran arbeite, »die deutschen Interessen in dieser international schwierigen Lage zu wahren«, lautet der Vorwurf, den der Unionsfraktionschef jüngst erhob. Doch stimmt das Bild? Ist die Bundeskanzlerin vielleicht nicht in Wirklichkeit amtsmüde geworden? Schließlich musste sie dieser Tage erst zu Donald Trump nach Washington, dann warf ihr Recep Tayyip Erdogan auch noch Nazimethoden vor. Kaum verwunderlich also, dass Merkel offenbar keine Lust hat, ihren Wahlkampf zu beginnen.

Ganz im Gegensatz zu Schulz. Seit dieser Ende Januar als neuer SPD-Vorsitzender und -Kanzlerkandidat nominiert wurde, befindet sich seine Partei im Angriffsmodus. Spätestens seit dem Sonderparteitag in Berlin ist klar, dass die SPD unbedingt die Wahl gewinnen will. Und nicht nur sie: Mit ihr hoffen auch Grüne und LINKE auf frischen Wind im Kanzleramt. Erstere hält sich auch die Option des Juniorpartners für die Union offen, in letzterer ist spätestens jetzt die praktisch letzte Stimme verstummt, die sich einer möglichen Regierungsverantwortung im Bund verwehrt.

Schließlich steigt mit Schulz ein Kandidat in den Wahlkampfring, dessen frühere Aussagen zu Griechenland oder zur Agenda 2010 zwar einige Flecken auf seiner sozialpolitischen Weste hinterlassen haben, alles in allem glänzt diese für die allgemeine Öffentlichkeit aber noch weiß. Und auch wenn seine Reformvorschläge eher Detailverbesserungen sind, so verspricht Schulz immerhin eine graduelle Abkehr von Gerhard Schröders neoliberalen Reformen des Sozialstaates und des Arbeitsmarktes.

Doch ist es auf der Regierungs- tatsächlich immer schöner als auf der Oppositionsbank? Nicht nur der Blick auf Merkels Schicksal dieser Tage lässt dies bezweifeln. Denn lauscht man den Worten so manch eines SPD-Linken, dann scheint es so, dass Schröders rot-grüner Regierung die größten Schweinereien in der Agenda 2010 von der Opposition hineingeschrieben wurden. Diese bestand damals vornehmlich aus Union und FDP, die im Bundesrat auch noch die Mehrheit hatten.

Zwar könnte Schulz sich womöglich auf eine rot-rot-grüne Mehrheit in der Länderkammer stützen, doch würde die Opposition im Bundestag aus Union, AfD und vermutlich auch der FDP bestehen. Wirkliche soziale Verbesserungen müssten von der LINKEN also nicht nur in mühsamen Verhandlungen mit den nicht so sozialen Koalitionspartnern Grüne und SPD ausgehandelt werden, sondern auch gegen die geballte Macht der Reaktion verteidigt werden müssen.

Misslingt der LINKEN dies und muss sie vielleicht noch zu große Zugeständnisse in der Außen- oder Asylpolitik machen, dann könnte es bei der folgenden Bundestagswahl 2021 eng für sie werden. Sie wird dann im Gegensatz zu den Grünen unter Schröder, die 2005 immerhin das Erneuerbare-Energien-Gesetz und den Atomausstieg vorzuweisen hatten, vermutlich keinen wirklichen Erfolg in ihren Kernthemen haben. Der Fraktion könnte vielleicht sogar ein ähnliches Schicksal blühen wie der FDP 2013, die nicht nur aus der Regierung, sondern auch aus dem Bundestag verschwand.

Doch ist man auf der Oppositionsbank immer so machtlos, wie es einem erscheint? Die letzten Jahre der LINKEN in der Opposition zeigen eigentlich das Gegenteil. Der Mindestlohn etwa wäre von Schwarz-Rot nicht eingeführt worden, hätte die LINKE nicht jahrelang Druck gemacht. Auch die Debatte um die Verteilungsgerechtigkeit ist keine Erfindung der SPD. Stattdessen wurde diese bei der letzten Bundestagswahl 2013 von der LINKEN und einem Bündnis von Sozialverbänden und Gewerkschaften auf die Agenda gesetzt. Ohne die Kampagne »Umfairteilen« würde man in der SPD jetzt nicht übers Umverteilen nachdenken. Und zwar diesmal in die richtige Richtung: von oben nach unten und nicht wie bei Schröder von unten nach oben.

Vielleicht hat man als starke Opposition also sogar mehr Macht denn als schwacher Koalitionspartner. Dies sollte die LINKE im Kopf behalten und nicht zu viele Zugeständnisse machen, wenn sie nach der Wahl in Koalitionsverhandlungen mit der SPD und den Grünen geht. Denn ein einfacher Regierungswechsel nach der Bundestagswahl reicht nicht aus. Was es braucht, ist eine grundlegende Abkehr von der neoliberalen Politik der letzten Jahrzehnte.

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