Heißhunger auf Humus

Der Verzehr von lehmhaltiger Erde kann Vergiftungen abwenden, aber auch zur Sucht werden

  • Karoline Kallweit
  • Lesedauer: 3 Min.

Käse mit Marmelade, Nudeln mit Zucker, Nutella mit Zwiebeln: Von seltsamen Essgewohnheiten haben alle schon einmal gehört - und ungewöhnliche Lebensmittel vielleicht selbst schon probiert. Doch was ist von jemandem zu halten, der Erde isst?

Dabei ist das Verspeisen von Erde ein weltweit verbreitetes Phänomen. Es hat sogar einen wissenschaftlichen Namen: Geophagie. In Afrika essen, je nach Schätzung, 30 bis 80 Prozent der Menschen regelmäßig lehmhaltige Erde. Manch einer verdrückt bis zu 400 Gramm am Tag. Vor allem schwangere Frauen und junge Mütter haben praktisch immer eine Portion Erde dabei.

Dieses spezielle Lebensmittel ist auf vielen afrikanischen Märkten billig zu erhalten. Vor dem Kauf wird die Erde mit Wasser gereinigt und einen Tag lang in der Sonne getrocknet. Salz und Heilkräuter kommen als Geschmacksverbesserer hinzu. Anschließend wird die Mischung zu Pulver verarbeitet oder zu steinharten Klumpen gebrannt. Die Gründe für diese Ernährungsgewohnheit sind bisher relativ unerforscht. Ein sogenanntes »Pica-Syndrom« ist es aber wohl nicht. Bei dieser speziellen Essstörung essen die Betroffenen Dinge, die eigentlich nicht für den Verzehr geeignet sind - wie Haar, Papier oder Seife. Die Bezeichnung leitet sich von dem lateinischen Namen der Elster (Pica pica) ab, die weithin als gieriger und nicht besonders wählerischer Vogel gilt. Das Pica-Syndrom tritt vor allem bei Kindern auf und hat wohl psychologische Ursachen.

Das Erde-Essen hingegen könnte evolutionsbedingt sein. Denn einige der Stoffe, die in der tonhaltigen Erde enthalten sind, beugen womöglich Vergiftungen vor. Schon die Menschen in der Urzeit sollen daher zum Schutz Erde gegessen haben, wie archäologische Funde andeuten. Und auch der griechische Arzt Hippokrates schrieb vor mehr als 2400 Jahren von Menschen, die Erde essen.

Verlässliche wissenschaftliche Erkenntnisse über die medizinische Wirkung der Lehmerde gibt es allerdings nicht. Ähnlich wie Kohletabletten bei Durchfallerkrankungen, binden die Lehmanteile der Erde Giftstoffe. Gleichzeitig könnte die Erde ein wichtiger Lieferant von Spurenelementen wie Eisen sein. Der Lehm scheint außerdem gegen Sodbrennen und Schwangerschaftsübelkeit zu helfen.

Erde-Esser sprechen oft von einem unerklärlichen körperlichen Verlangen nach dem Bodenmaterial. Vor allem seinen Gerüchen könnten sie nicht widerstehen: Sie beschreiben den Duft feuchter Erde nach dem Regen oder den Duft von frisch gebrannten Ziegelsteinen. Er löst bei ihnen Heißhungerattacken aus, wie sie von Schokolade bekannt sind. Aktuelle Studien vergleichen das Verzehren von Erde daher mit einer Sucht.

Wie das Essen von Erde selbst sind auch die Folgen bisher wenig erforscht. Die Vermutung, mit den Bodenbestandteilen könnten Darmparasiten übertragen werden, liegt jedoch nahe. Denn die Substanz wird kaum hygienisch behandelt. Stattdessen ist sie allen möglichen Umwelteinflüssen und Verunreinigungen ausgesetzt. Außerdem enthält Erde neben Würmern, Pilzen, Bakterien und anderen Mikroorganismen häufig Schwermetalle. Blei, Quecksilber und Co. sind schädlich für den menschlichen Körper und können, schwere Krankheiten verursachen.

Dennoch hat sich essbare Erde in Afrika längst zu einem wichtigen Wirtschaftszweig entwickelt. Das Abtragen, Trocknen, Verpacken und Transportieren der Erde schafft Arbeitsplätze für zahlreiche Menschen. Auch hierzulande ist das Produkt in wenigen spezialisierten Supermärkten erhältlich.

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