Wenn Sieger zu Verlierern werden
Folge 112 der nd-Serie »Ostkurve«: Traditionsvereine haben es in der Regionalliga schwer
Claus-Dieter Wollitz hat sich noch immer nicht daran gewöhnt. Oder er will es einfach nicht. Als der Trainer von Energie Cottbus am Mittwochabend Probleme mit dem Mikrofon hatte, sagte er: »Bei Sport1 ist es einfacher.« Für die Lausitzer interessiert sich der Sportsender nach dem Abstieg in die Regionalliga im vergangenen Sommer aber nur noch selten. Der sportliche Alltag führt die Cottbuser mittlerweile zum Zipsendorfer Fußballclub Meuselwitz, nach Luckenwalde, Auerbach und Neugersdorf.
Oder wie am Mittwoch auch mal nach Berlin. »Wir sind eure Hauptstadt ihr Bauern!« So wurde der ehemalige Bundesligist dort empfangen - von den Fans des FC Viktoria 1889, ein Verein mit großer Vergangenheit, aber keinerlei Erfahrungen im Profifußball. Eine Retourkutsche waren Wollitz› sarkastische Worte auf der Pressekonferenz nicht. Dass Vereinsgaststätten kurzfristig zu Medienräumen umfunktioniert werden und die Technik nicht einwandfrei funktioniert oder Stadiondurchsagen verzerrt und übersteuert die wenigen Zuschauer kaum erreichen, stört Wollitz nicht wirklich. Und dass der FC Energie nach 19 Jahren Profifußball erstmals in seiner 51-jährigen Vereinsgeschichte viertklassig spielt, akzeptiert er: »In den vergangenen Jahren wurden die sportlichen Aufgaben eben nicht erfüllt, der Verein hat sich dadurch zurückentwickelt.«
Woran Wollitz sich aber gar nicht gewöhnen kann, sind die Rahmenbedingungen in dieser Spielklasse. »Der DFB hat kein Interesse an der Regionalliga, sie ist ein lästiges Anhängsel«, meint Wollitz gegenüber »nd«. Im Februar rief er alle Klubs der insgesamt fünf Regionalligen zum Streik auf. »Um Aufmerksamkeit zu erzeugen«, wie Wollitz sagt. Denn die Aufstiegsregelung findet er absolut ungerecht. Die Regionalliga ist die einzige Spielklasse in Deutschland, in der der Meister nicht direkt aufsteigt. Die Erstplatzierten der Staffeln Nord, Nordost, West, Südwest, Bayern und der Zweite aus dem Südwesten müssen in Hin- und Rückspielen drei Aufsteiger ermitteln. Ausgelost werden die Paarungen am 8. April. Im schlechtesten Fall bleiben also drei Regionalligameister auf der Strecke.
Etwas Hoffnung hat Wollitz noch. »Es ist nicht meine Vorstellung vom Leben, in irgendwelchen Situationen aufzugeben.« Er meint aber nur Platz eins. Nach dem torlosen Remis gegen Viktoria Berlin hat Cottbus acht Punkte Rückstand auf Spitzenreiter Jena. Am Sonntag steht im Stadion der Freundschaft das Spitzenspiel gegen den FC Carl Zeiss an. Mit einem Sieg wolle er den Gegner zumindest unter Druck setzen und dann sehen, was in den dann noch ausstehenden acht Partien möglich sei. Am 34. Spieltag endet dann aber auch Wollitz‹ Glaube an das Gute. »Der Sieger ist am Ende der große Verlierer«, sagt er. Egal ob Jena, Cottbus, der SV Meppen, Viktoria Köln oder Waldhof Mannheim. Dass ein Meister vielleicht nicht aufsteigt, widerspricht für Wollitz »Werten wie Respekt, Anstand oder Solidarität.« Mit der Meinung ist er nicht allein. Die große Mehrheit der insgesamt 91 Regionalligavereine ist für die Änderung der Aufstiegsregelung.
Die Cottbuser und ihr Trainer spielen also mit latenter Wut im Bauch. Die Laune wird nicht besser, wenn über die Zukunft gesprochen werden soll. Einerseits ist da der eigene Verein. Im Februar wurde publik, dass der FC Energie ohne eine stattliche Spende eines anonym gebliebenen Vereinsfreundes die Saison wohl nicht hätte finanzieren können. 500 000 Euro sollen den Verein gerettet haben, der Gönner soll ein Freund von Präsident Michael Wahlich sein. Wollitz, der seine zweite Amtszeit in Cottbus im April 2016 angetreten hatte, erfuhr davon im Dezember. Seine Reaktion: »Hätte ich um die finanzielle Lage gewusst, wäre ich hier nicht Trainer geworden.«
Nun ist er aber wieder in der Lausitz - und kämpft für den Klub. »Dauerhaft kann Cottbus in der Regionalliga nicht bestehen«, weiß Wollitz. Stadion, Infrastruktur, Umfeld und Anspruch: Energie ist für ihn immer noch ein »gefühlter Zweitligist.« Deshalb wünscht er sich auch im Falle des Nichtaufstiegs, dass die Mannschaft verstärkt wird. »Der größte Fehler wäre, weiter zu sparen.«
An diesem Punkt kollidiert die Zukunft mit der Realität. Energie muss aufsteigen. Und: »Wenn man hoch will, muss man Profifußball anbieten«, weiß Wollitz. Aber: An den Rahmenbedingen will der Deutsche Fußball-Bund nichts ändern. Für DFB-Präsident Reinhard Grindel sind die Aufstiegsspiele »die beste Lösung.« Rainer Koch, Vizepräsident des DFB, meint: »Die vierte Liga ist allenfalls halbprofessionell. Wer sich dort Vollprofitum leistet, kann nicht erwarten, dass ihm das andere finanzieren.«
Dieser Verantwortung hat sich der DFB mit der Reform der Regionalliga zur Saison 2012/13 entledigt. Mit der Einführung von fünf statt bis dahin drei Staffeln mit drei festen Aufsteigern übergab er Durchführung und Organisation den jeweiligen Regional- und Landesverbänden. Damit endeten auch die Zahlungen aus dem Vermarktungspool der Übertragungsrechte. Rund 5,3 Millionen Euro hatte der DFB bis dahin pro Saison gezahlt, jeder Verein erhielt einen sechsstelligen Betrag. Nun gibt›s gar nichts mehr oder nur sehr wenig. Der MDR, der einige Spiele aus der Regionalliga Nordost überträgt, zahlt jedem Verein 10 000 Euro. Diese Summe deckt gerade mal Startgebühr und Schiedsrichterkosten für die Spielzeit.
Viel weniger Geld, aber fast genau so hohe Auflagen durch die jetzt zuständigen Regional- und Landesverbände: Vor allem große Traditionsvereine leiden unter den aktuellen Viertligabedingungen. Alemannia Aachen stellte gerade einen Insolvenzantrag, andere stehen immer mal wieder kurz davor: Unterhaching, Kickers Offenbach, Babelsberg. Bessere Bedingungen soll es dennoch nicht geben. »Eine Rückkehr zur dreigleisigen Regionalliga kommt nicht in Betracht«, betont DFB-Vize Koch. Erst durch sein intensives Drängen als Präsident des Bayerischen Fußballverbandes, mit Unterstützung der starken Westverbände, wurde die Regionalligareform ja durchgedrückt. Beschlossen wurde sie auf dem DFB-Bundestag im Oktober 2010 »blind«. Denn: Die umstrittene Aufstiegsregelung war damals noch nicht bekannt.
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