Ein Maschinist, ein Täter und der Präsident

Petersburg trauert um die Opfer des Anschlages in der Metro / Spekulationen über die Motive

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 4 Min.

»Er wird für die Rettung von Passagieren ausgezeichnet«, lobt am Tag nach dem blutigen Anschlag in der Petersburger Metro deren Verwaltung ihren »Maschinisten 1. Klasse« Alexander Kawerin. Der 51-Jährige habe in schwieriger Lage nicht die Nerven verloren und den Zug in den Bahnhof gefahren: »Im Tunnel hätte es viel mehr Opfer geben können.« Für Angst habe er keine Zeit gehabt, sagt der Zugführer örtlichen Medien, »es musste gearbeitet werden«. Lob gilt auch einem Kollegen. Beim Routinerundgang an der Station »Ploschtschad Wosstanija« entdeckt Stationsinspektor Albert Sibirskij am Montag die Tasche mit einer weiteren Bombe, sichert den Ort und sorgt für Entschärfung.

Den Zusammenhalt der Petersburger würdigte an dem ersten von drei offiziellen Tagen der Trauer, der Petersburger Gouverneur Georgi Poltawtschenko. »Unsere Stadt konnte von niemandem jemals eingeschüchtert werden«, erinnerte er die Bürger in einer Videobotschaft. Der Gouverneur des Petersburger Gebietes, Alexander Drosdenko, fährt am Morgen demonstrativ zur Arbeit mit der Metro. Diese hat in der Fünf-Millionen-Stadt an der Newa auf mehreren Linien den Betrieb wieder aufgenommen.

Berge von Blumen und Windlichtern gelten an den Petersburger Metrostationen »Technologitscheski Institut« und »Sennaja Ploschtschad« den Toten und Verletzten der Explosion vom frühen Montagnachmittag. Am Abend des Anschlags hat dort auch Russlands Präsident Wladimir Putin einen großen Strauß roter Rosen niedergelegt. Es lässt sich als besondere Botschaft verstehen, dass Moskauer im Alexandergarten des Kreml am Gedenkstein für die Heldenstadt Leningrad mit Blumen der Opfer des Anschlags gedenken.

Die Zahl der Todesopfer steigt am Dienstag auf 14. Elf Menschen seien vor Ort gestorben, drei weitere später ihren Verletzungen erlegen, teilt Gesundheitsministerin Veronika Skworzowa auf einer Pressekonferenz am Mittag mit. Nach Behördenangaben befinden sich zu diesem Zeitpunkt 51 Menschen zur Behandlung in den Krankenhäusern, darunter eine 15-jährige Schülerin.

Akbarschon Dschalilow, ein 22-jähriger Kirgise, wird am Nachmittag von den Ermittlern als Attentäter präsentiert. Er sei bei der Explosion umgekommen, teilte das staatliche Ermittlungskomitee in Moskau laut Interfax mit. Seine DNA-Spuren seien an beiden Bomben gefunden worden.

Die Motive für den Anschlag bleiben umstritten. Ein »Geschenk für Putin und den FSB« bringt das Internetportal gaseta.ru gleichermaßen den Präsidenten und den Föderalen Sicherheitsdienst ins Spiel. Die Kolonne Wladimir Putins hatte durch das Gebiet fahren sollen, in dem der Anschlag verübt wurde, heißt es unter Berufung auf Massenmedien. Erst in letzter Minute sei die Fahrtroute geändert worden, das habe der Kreml aber dementiert. Was den Geheimdienst betrifft, so sei dieser genau an einem 3. April gegründet worden, als der damalige Präsident Boris Jelzin 1995 das entsprechende Gesetz unterzeichnet habe.

Als mögliche Terroristen verdächtigt Alexej Filatow in der »Nesawissimaja Gaseta« neben dem Islamischen Staat zugleich ukrainische radikale Nationalisten oder auch örtliche radikale Gruppen. Für den Publizisten Konstantin Remtschukow wiederum ist bei »Echo Moskwy« die Einordnung des Anschlages ganz klar eine Folge des russischen Engagements in Syrien und hat eine direkte Beziehung zum Staatschef. Petersburg sei die Stadt Putins, und dieser befand sich zum Zeitpunkt der Explosion dort. Wenn sich bewahrheite, dass es sich um einen Terrorakt gehandelt habe, dann sollte er Putin zeigen, dass er nicht einmal in seiner eigenen Stadt die Menschen schützen könne.

Den Bezug zu Syrien, der auch in anderen Massenmedien Platz hat, kontert Außenminister Sergej Lawrow laut der Zeitung »Iswestija« umgehend als »zynisch und gemein«. Der Terrorismus sei schließlich ein »Verbrechen gegen die ganze Menschheit und alle Religionen«.

Auch der Kreml räumt allerdings ein, dass es »zum Nachdenken zwingt«, wenn ein Terroranschlag verübt werde, während das Staatsoberhaupt in der Stadt sei. Präsidentensprecher Dmitri Peskow wiegelt ab: »Das ist Stoff für eine Analyse der Geheimdienste.« Der frühere Duma-Abgeordnete und KGB-Mann aus Sowjetzeiten Gennadi Gudkow hat bereits eine Antwort. Die Terroristen hätten von der Anwesenheit des Präsidenten und beispiellosen Sicherheitsvorkehrungen gewusst, brachten aber trotzdem die Bombe zur Explosion: »Das ist eine direkte Herausforderung der ganzen Staatsmaschinerie.«

Das könnte allerdings auch für den Angriff von Anhängern einer radikal-islamistischen Gruppe gelten, die in der Stadt Astrachan am Kaspischen Meer am Dienstag während einer Straßenkontrolle zwei Polizisten erschießen.

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