Europa bekommt ein soziales Beinchen

EU-Kommission legte ihre Pläne für eine Sozialstrategie vor / Kritiker: Leere Versprechen

Bildung und Chancengleichheit, Unterstützung bei der Arbeitssuche, faire Löhne und »angemessene Lebensstandards« - in 20 Hauptpunkten hat die Europäische Kommission ihre Ideen zusammengefasst, die künftig eine »Säule der sozialen Rechte« in der EU bilden sollen. Gruppiert sind sie in drei Hauptkapitel, die sich »Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang«, »Fairen Arbeitsbedingungen« und »Sozialer Sicherheit und Inklusion« widmen. Ein »Knigge« für die Sozialpolitik sei das am Mittwoch vorgestellte Papier, ist im Europaparlament zu hören, nicht mehr. Aber auch nicht weniger.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hatte bei seinem Amtsantritt vor drei Jahren eine europäische Sozialpolitik als eine der Prioritäten bezeichnet - und dies eher halbherzig umgesetzt. So fand sich in dem vom Kommissionschef im März vorgelegten Weißbuch zur Zukunft der EU zwar allerlei zur Stärkung von Wirtschaft und Binnenmarkt. Jedoch kaum etwas zu einer gerade von Linken, Grünen, Teilen der Sozialdemokratie und sogar Konservativen immer wieder eingeforderten Sozialunion.

Dass die Pläne einer Sozialstrategie nun endlich das Licht der Welt erblickten, ist maßgeblich dem Ja der Briten zum Brexit und den Wahldebatten in Frankreich geschuldet. Es hat sich inzwischen auch nach Brüssel herumgesprochen, dass die BürgerInnen die EU eher als eine Bedrohung für ihren sozialen Schutz sehen und dies zur wachsenden Entfremdung von Europa führt.

Wirklich Handhabbares bringt das Dokument nicht. So hat es keine Rechtsverbindlichkeit - anders als etwa die Grundrechtecharta, in der zumindest einige »Basics« eines europäischen Sozialschutzes festgeschrieben sind. Fragen, wie Mindestlohn oder eine Grundsicherung praktisch berechnet oder umgesetzt werden sollen, bleiben weitgehend offen. Dafür finden sich gerade von Arbeitgeberseite immer wieder vorgebrachte Forderungen nach »flexiblen Beschäftigungsbedingungen« und einer Entlohnung auf der Basis der Produktivitätsentwicklung.

Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, sieht das Kommissionspapier daher als »leeres Versprechen«. Auch der Vorsitzende des Sozialausschusses im EU-Parlament, Thomas Händel (LINKE), zeigt sich enttäuscht: »Was die Kommission heute abgeliefert hat, ist noch weniger als befürchtet«, erklärt er gegenüber »nd«. Gabi Zimmer, Chefin der Linksfraktion im Europaparlament und Schattenberichterstatterin zu dem Thema, sieht »20 unverbindliche Empfehlungen« - »nach einem Jahr der Konsultationen und Konferenzen in allen EU-Ländern«.

Allerdings enthält das Papier durchaus legislative Vorschläge. Dazu gehören Maßnahmen für eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie. So sollen Mütter und Väter in ganz Europa künftig ein Anrecht auf jeweils mindestens vier Monate Elternzeit, ein Recht auf Teilzeit und Rückkehr auf eine volle Stelle bekommen.

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