Schreiberschmiede in der Krise

Studiengang Journalistik in Leipzig nimmt keine neuen Studenten mehr auf

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Der traditionsreiche Journalistikstudiengang der Universität Leipzig steht vor gravierenden Veränderungen. Nach einem Beschluss des zuständigen Fakultätsrates für Sozialwissenschaften und Philosophie werden im Wintersemester 2017/2018 keine neuen Masterstudenten aufgenommen. Die Fakultät plane, in der Zeit den Studiengang zu »reformieren«, um ihn ab dem folgenden Wintersemester wieder anzubieten, heißt es. »Diese Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen, aber wir brauchen Zeit für einen Neubeginn«, erklärte Roger Berger, Dekan der Fakultät, in einer Mitteilung. Die Reform soll den sinkenden Bewerberzahlen entgegenwirken, die bereits seit einiger Zeit als »Indikator für eine gesunkene Attraktivität« zu verzeichnen waren. Laut Universität zeigten vergangenes Jahr 127 Studenten Interesse an dem Masterstudiengang, was ungefähr der Hälfte der Bewerberanzahl von 2014 entspricht. Derzeit sind 113 Studierende eingeschrieben, jeweils 30 werden jährlich immatrikuliert.

Der Wegfall einer Journalistikstelle im kommenden Wintersemester verschärfe nun noch die Situation, teilte der Studiendekan der Fakultät, Thomas Kater mit. »Mehr Stellen werden es nicht werden. Es muss daher ein Curriculum entwickelt werden, das mit den vorhandenen Kapazitäten seriös abgesichert werden kann.« Mit der Überarbeitung des Lehrplans soll dabei auch gegen die »dokumentierte Unzufriedenheit« in der Fakultät vorgegangen werden. Eine Kommission unter dem Vorsitz des Dekans trägt für die Reform die Verantwortung. Neben Vertretern der Journalistik, darunter Abteilungsleiter Marcel Machill, und des Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaften befinden sich auch Studierende und Journalisten in diesem Gremium. Bereits vor zwei Jahren sei eine Reform des Studiengangs geplant gewesen, jedoch an fehlendem Engagement gescheitert, erklärte Dekan Berger. »Das hätte von allen Beteiligten stärker forciert werden müssen.« Laut einer Aussage des Studiendekans Kater gegenüber dem Dresdner Medienblog »Flurfunk« habe Marcel Machill in dem Konflikt eine kritische Rolle eingenommen.

Der Inhaber der einzigen vollwertigen Journalistikprofessur in Leipzig wies gegenüber »nd« die Vorwürfe scharf zurück. »Wir haben schon vor zwei Jahren auf eine Reform gedrängt, wurden aber ignoriert. Dass es jetzt so aussieht, als müsste man uns zwingen, ist heuchlerisch.« Die Entscheidung des Dekanats sei in einer »Nacht- und Nebelaktion über den Kopf des Instituts« hinweg gefällt worden, erklärte Machill. Den Immatrikulationsstopp lehne er ab, dieser sei unverantwortlich gegenüber Studenten. In der Reformkommission wolle er dennoch mitarbeiten. Mit dem Umgang innerhalb der Fakultät zeigt sich der Abteilungsleiter aber grundsätzlich unzufrieden: »Die Leipziger Journalistik wurde in den vergangenen Jahren kaputtgespart.« Ursprünglich habe es drei Professoren- und sechseinhalb wissenschaftliche Mitarbeiterstellen gegeben. Heute gebe es lediglich noch eine Professorenstelle, eine Juniorprofessur und zweieinhalb Mitarbeiterstellen. Die Ressourcen seien vor allem in den Bereich Politische Kommunikation geflossen. »Und dann wundert man sich, dass dieser Studiengang unattraktiv ist«, empört sich Machill.

Der Deutsche Journalistenverband (DJV) forderte nach Bekanntwerden der Pläne die Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie auf, die Journalistikausbildung »endlich wieder auf das hohe Niveau zu bringen, für das die Ausbildung an der Universität Leipzig einmal stand«. Eine Reform der »ehemaligen« Vorzeigeausbildung sei dafür nötig. »Sparmaßnahmen müssen rückgängig gemacht werden, Personal aufgestockt und die Qualität des Studiengangs verbessert werden«, forderte die stellvertretende Bundesvorsitzende Kathrin Konyen. DJV-Sprecherin Eva Werner fügte gegenüber »nd« hinzu, dass der ehemalige Diplomstudiengang qualitativ bereits unter der Bologna-Hochschulreform gelitten habe.

Die Debatte um die Leipziger Journalismusausbildung reicht schon mehrere Jahre zurück. Zuletzt kam es 2011 im Zuge von Umstrukturierungsmaßnahmen zu Protesten. Nach der Umwandlung einer Journalistikprofessur in eine PR-Stelle verfassten 85 Leipziger Absolventen einen offenen Brief, in dem sie die Kürzungspläne kritisierten. Marcel Machill hatte bereits damals vor einer »Austrocknung des Studienganges« gewarnt. Das übergeordnete Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft warf ihm daraufhin eine »öffentliche Kampagne« vor. Der Professor würde nicht für die gesamte Belegschaft sprechen.

Michael Meyen, Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München, sieht den Konflikt in einem größeren Kontext. In einem Blogbeitrag zeigte er auf, wie die Journalistenausbildung in Deutschland durch interne Konkurrenz verstärkt die Universitäten verlässt und an Fachhochschulen und Fachschulen abwandert. »Die Kommunikationswissenschaft ist heute eine etablierte, akademisierte sozialwissenschaftliche Disziplin, in der es um internationale Sichtbarkeit, um Drittmittel, um Publikationen in hochrangigen Fachzeitschriften geht.« Praxisnähe oder die Berufung von Journalisten auf Professuren könne man sich nicht mehr leisten, wenn »die Universitätsleitungen im Exzellenzwettbewerb mitspielen möchten«. Die Journalistenausbildung in Leipzig habe sich deswegen schon seit der Institutsgründung 1993 unter Druck befunden.

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