Innenstadtflüchtlinge feiern Volksfest am Müggelturm

Wer es am Maifeiertag nicht politisch wollte, zog an den Stadtrand, um Musik und die Natur zu genießen

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.

»Das sieht ja schon ganz anders aus als im letzten Jahr«, freut sich eine Besucherin. Bänke und Tische laden unter dem Müggelturm in Köpenick zum Verweilen ein. Es gibt »Kalten Hund« und Bratwurst im Brötchen. Ja, direkt unterm Turm türmt sich Baumaterial. Aber im vergangenen Jahr sei das Areal deutlich verwildeter gewesen, erzählt die Mittfünfzigerin. »Da tut sich was. Der Investor will hier bauen und die Behörden legen ihm Steine in den Weg.« Sie komme jedes Jahr zum 1. Mai unter den Müggelturm, sagt sie.

Mehrere hundert Berliner sind zeitgleich zum Maifest auf den 88 Meter hohen Müggelberg gekommen. Die meisten von ihnen sind in der zweiten Lebenshälfte und passend zum Publikum spielt die Liveband Ohrwürmer aus den 1970ern. Wird hier der Tag der Arbeit gefeiert? Für die Köpenickerin Mitte 50 ist die Frage total absurd. »Ich genieße den freien Tag. Ich genieße den weiten Blick über Wald und Wasser. Die Luft ist gesund. Und jetzt freue ich mich auf Kaffee und Kuchen«, sagt sie.

Neben ihr am Tisch sitzt eine Gruppe Chemiker. Alle sind Anfang 70, haben einst in Jena gemeinsam studiert und nutzen das lange Wochenende, sich mal wieder zu treffen. »Gestern waren wir am Alex und auf dem Kurfürstendamm. Heute wollen wir den Turm hier sehen«, sagt eine Berlinerin, die das Treffen organisiert hat und zeigt nach oben. Zwei Euro kostet der Aufstieg, aber erst mal gibt es einen Imbiss in der Müggelseebaude. »Die Innenstadt meiden wir heute. Wir sind ja nicht auf Krawall gebürstet«, sagt ein Mann aus der Runde. Viele Gäste hier sind Innenstadtflüchtlinge. Als »Alternative zu Kreuzberg« hatte die Nachrichtenagentur dpa das Müggelturmfest beworben.

Das beliebte Ausflugsziel in Köpenick ist in den vergangenen Jahren verfallen. Turm und Gastronomie-Areal stehen als frühes Bauwerk moderner Architektur unter Denkmalschutz. Das hat die Suche nach einem Investor nach der Wende so schwierig gemacht. Drei Privatisierungsversuche misslangen 1994, 2002 und 2007. Der eigentliche Turm wurde 1996 mit einer Millionen Mark aus EU-Fördermitteln halbwegs instand gesetzt. Doch die Müggelturm-Baude an seinem Fuße verfiel weiter.

Alle Hoffnungen liegen nun auf Investor Nummer vier. Der heißt Matthias Große, hat das 6000 Quadratmeter große marode Areal 2014 erworben, im Jahr darauf einen Bauantrag gestellt. Er wohnt in Köpenick und ist vor allem als Lebenspartner der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein bekannt. Die »Süddeutsche Zeitung« schrieb einmal, die Stimme von Große höre sich im Stadium der Erregtheit an, »als hätte ein Kampfhund einen Einbrecher entdeckt«.

Doch heute gibt sich Große entspannt. Blaue Joggingjacke, kahler Kopf, so steht er am Tresen und spricht mit seinen Mitarbeitern über den Umsatz. Er ist zufrieden. Im Laufe des Tages rechne er mit mehreren tausend Gästen, sagt er dem »nd«. Entspannt bleibt er auch, als er über die noch ausstehende Baugenehmigung Auskunft gibt. »Es geht vorwärts.« Den behindertengerechten Zugang zur Müggelturm-Baude, lange Zankapfel zwischen Große und den Behörden, ist immerhin schon fertig. Im Interview mit einem Lokalblatt hatte Große Bauamtsmitarbeitern einmal Neid auf seine vielen teuren Autos unterstellt.

Bezirks-Baustadtrat Rainer Hölmer (SPD) spricht dennoch diplomatisch über den Investor: »Er will etwas bewegen, ist aber sehr ungeduldig und hat Schwierigkeiten mit langen gesetzlichen Regelungen.« Die Teilbaugenehmigung für den Restaurantbetrieb im Untergeschoss wurde, so Hölmer, im März dieses Jahres erteilt. Für die Genehmigung der anderen Stockwerke des Gebäudes müsse noch die Abwasserentsorgung geklärt werden.

Abba dröhnt aus den Lautsprecherboxen. Ein Ehepaar um die 60, das gerade mit den Fahrrädern den Berg hinauf kommt, freut sich. »Einfach herrlich«, sagt der Mann. »Unten das Vogelgezwitscher und hier Musik aus meiner Jugend.«

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