Diskreter an Schwedens Grenzen

Identitätskontrolle der Ein- und Durchreisenden aufgehoben / Stichproben bleiben, Polizeieinsatz wird verstärkt

  • Andreas Knudsen, Kopenhagen
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit Donnerstag null Uhr verzichtet Schweden an seinen Grenzen auf die offizielle Kontrolle der Identität (ID) der Ein- oder Durchreisenden. Rund 18 Monate lang mussten Reisende die Überprüfung hinnehmen. Es war ein ungewohntes Gefühl im Zeitalter nach Schengen und der Etablierung der nordischen Passunion 1954.

Täglich mussten Tausende Menschen Bus und Bahn verlassen oder Stauzeiten an der Brücke über den Öresund hinnehmen, wenn sie zwischen Wohn- und Arbeitsort pendelten. Jetzt hat sich die Flüchtlingssituation so weit stabilisiert, dass die schwedische Regierung einschätzte, dass die durchgehende Kontrolle nicht länger notwendig sei. Hinzu kam die Aufforderung der EU-Kommission an Norwegen, Schweden, Dänemark, Österreich und Deutschland, die Grenzkontrollen innerhalb der nächsten sechs Monate zu beenden, da die Situation an den EU-Außengrenzen nun stabil sei. Nach Angaben der schwedischen Regierung erreichen gegenwärtig im Wochendurchschnitt rund 500 Personen die Grenzübergangsstellen des Landes und bitten um Asyl, während es um die Jahreswende 2015/2016 etwa 10 000 waren. Damit hat sich die Asylsituation wieder auf das langjährige Mittel eingepegelt.

Nun ist zwar die offizielle ID-Kontrolle aufgehoben worden, doch die diskrete Grenzüberwachung wird ausgebaut. Innenminister Anders Ygeman kündigte eine verstärkte polizeiliche Überwachung des betreffenden Gebietes an. ID-Kontrollen werden weiterhin stichprobenweise in Zügen und Bussen sowie an Grenzübergangsstellen für Autos durchgeführt.

Weiterhin sollen Nummernschilderscanner aufgestellt und später, sobald gebrauchsreife Modelle vorhanden sind, durch Scanner ergänzt werden, die Gesichter zuverlässig erkennen können. Insgesamt soll das Personal verstärkt werden, das die Grenze und den grenznahen Raum überwacht.

Ygeman kündigte gleichzeitig an, dass Schweden bereit ist, die ID-Kontrolle wieder einzuführen, falls sich die Flüchtlingssituation entscheidend verschlechtern sollte. Ohne es direkt auszusprechen, machte der Minister damit klar, dass die großzügige Asylpolitik endgültig beendet ist.

Bei Pendlern sowie der schwedischen und dänischen Bahn hat das Ende der zeitraubenden ID-Kontrolle Freude ausgelöst. Schweden hatte die Transporteure, also staatliche und private Bus- und Zugbetreiber sowie Reedereien, zur Garantie verpflichtet, dass ihre Fahrgäste sich ausweisen und eventuell über ein Visum verfügen. Bei Nichteinhaltung wurden hohe Strafen angedroht. Deshalb mussten sie private Wachgesellschaften anheuern, die die Kontrollen durchführten, und gleichzeitig ihre Reisezeiten verlängern, um den staatlichen Forderungen nachzukommen. Beide Maßnahmen kosteten die Unternehmen jährlich zweistellige Millionenbeträge und unverschuldet unzufriedene Kunden.

Zwar hat die EU-Kommission auf die Wiederinkraftsetzung des Schengener Abkommens spätestens ab dem 12. November gedrungen, aber sowohl die Regeln des Vertrages als auch die Entscheidungsbegründung lassen Hintertüren offen, die Kontrollen weiterzuführen oder wieder einzuführen. Im Fall des starken Anstieges der Flüchtlingszahlen oder bei steigender Terrorgefahr können zeitweilige Grenzkontrollen sofort wieder eingeführt werden.

Darauf haben sich Dänemark und Norwegen bereits juristisch vorbereitet. Sie verabschiedeten Gesetze, die die Abweisung aller Flüchtlinge an der Grenze in Notsituationen erlauben. Auch ist die Skepsis groß, ob die EU-Außengrenzen wirklich so sicher geworden sind, wie es die EU-Kommission erklärt hat. Die Situation insbesondere in Italien wird als beunruhigend angesehen.

Gleichzeitig bewegen sich große Gruppen Flüchtlinge durch Europa, um ihr Asylglück in anderen Ländern zu versuchen. Eine Rückkehr zum Normalzustand vor der Flüchtlingsbewegung von 2015 ist unsicher und abhängig von der Situation im Mittelmeer und der Haltbarkeit des Abkommens mit der Türkei.

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