Die ganz große Nummer

Gysi traf Peymann - diesmal nicht im Deutschen Theater, sondern im Berliner Ensemble. Warum nur?

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Gustaf Gründgens war Gustaf Gründgens. Top. Claus Peymann aber - der war nach eigenen Worten, schon früh, »eine große Nummer.« Eine große Nummer, dachte die große Nummer, ist mehr als der große Gründgens. Und darf also von diesem brieflich fordern, eine Premiere am Deutschen Schauspielhaus Hamburg zu verschieben. Schließlich hatte am gleichen Tag auch Peymanns Hamburger Studentenbühne Premiere. Gründgens verschob nicht, Peymann hatte trotzdem zweitausend (!) Zuschauer, mit Hans Henny Jahnns »Lübecker Totentanz«. Eine große Nummer, vor über fünfzig Jahren.

Jetzt sind Peymann-Festspiele. Nur noch wenige Wochen Berliner Ensemble. Große Interview-Schwemme. Bald das Abschiedsfest. Der 80. Geburtstag. Und schon wieder ein Buch: zwei Bände, fünf Kilo - die Dokumentation der achtzehn Jahre BE. Auf dessen Bühne saß nun Peymann, befragt von Gregor Gysi. Lädt der turnusmäßig nicht ins Deutsche Theater? Peymann fragt: »Wieso sind wir nicht dort?« Gysi sagt, das BE habe mehr Plätze. Peymann lacht sein unverwechselbar unverfrorenes Lachen, das es besser weiß. Aber er sagt nichts. »Ich will meinem Kollegen Ulrich Khuon nicht zu nahe treten.« Peymann: Paria, Protz, Papst, Peitsche, Platzhirsch, Platzpatrone, Pauke. Da ist offenbar der gastrechtliche Großmut des Nachbar-Intendanten (eines Theologen!) arg intoleranzig geworden.

Peymann auf großer Klavia-Tour: witzig, wehmütig, wütend. Spricht demütig vom »hochmusikalischen Mystiker« Handke. Nennt die Beziehung zu Thomas Bernhard »ein Geheimnis«. Feiert Schauspieler als »Könige des Theaters«. Erfasst die frühe BRD in einer Episode: Sein Vater besaß einen Olympia-Ausweis von 1936, mit Hakenkreuz - den hielt er noch in den fünfziger Jahren bei Verkehrskontrollen aus dem Autofenster, Polizisten grüßten ohne jede Ironie: »Heil Hitler, Herr Peymann!«

Er spricht von seinen Sprinterqualitäten: »Ich muss schnell siegen, sonst geht mir die Puste aus.« Das ist der ganze Peymann: mit Tempo die Welt überrollen, den Gedanken raushauen - wer übers Ziel hinausschießt, hatte immerhin eines. Die große Nummer. Dazu gehörte einst, bei eigenen Inszenierungen den Schlussapplaus anzuheizen - mit Beifall vom Tonband. Jetzt schwärmt er noch einmal von Hans Henny Jahnn: Der sprach vor Hunderttausenden in Hamburg gegen die Atom-Aufrüstung. Der Künstler als Tribun. Und heute? Ödnis. Und weil die Wut jetzt hochgekocht ist, pfeift der Kessel den Alarmton: Die bevorstehende Entlassung so vieler BE-Mitarbeiter sei ein »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«.

Gysi muss sich Frage-Sekunden mehr und mehr erbitten, Peymann kam schnell in Rage. Nehme niemand diesen Abschied zu gering, demnächst verlässt wahrlich eine Große Nummer Eins den Prinzipal-Posten. Groß im Wert, groß im Wahn, groß in der Wurschtigkeit. Auf der Bühne ein Strauß Tulpen aus seinem Köpenicker Garten. Im Verblühen geradezu aufplatzend. Peymann sagt, Blumen seien »im Verfall so schön«. Im Gegensatz zum Menschen? Peymann ist traurig. Peymann traurig? Man merkt es am unverfrorenen Lachen.

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