Gespannte Ruhe

Für die Kritiker der europäischen Handelspolitik stehen die Zeichen derzeit weniger auf Protest als auf Werbung für soziale, nachhaltige und ökologische Alternativen

Nach vier Jahren Daueranspannung sind die Gegner der Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA - CETA und TTIP - derzeit in Wartestellung. CETA wurde im Februar vom Europäischen Parlament mehrheitlich abgesegnet und muss nun von den EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Wann das passieren wird, ist unklar. Offen ist auch die Zukunft von TTIP: Nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten erklärte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström, das Handelsabkommen liege im »Gefrierschrank«. Mit einem erklärten Freihandelsgegner im Weißen Haus hielten viele das Abkommen sogar für endgültig gescheitert.

Die drei Bündnisse, die den Massenprotest gegen die Abkommen deutschland- und europaweit trugen, haben sich deshalb Ende April neu aufgestellt: Gemeinsam wollen sie künftig als »Netzwerk Gerechter Welthandel« auf die europäische Handelspolitik einwirken. »Die EU hat mehr als 20 Freihandelsabkommen in der Pipeline, die alle die gleichen neoliberalen Ziele verfolgen und natürlich allesamt geheim verhandelt werden«, sagt Jürgen Maier vom Forum Umwelt & Entwicklung. Er gehört dem Koordinierungskreis des neuen Bündnisses an, das für eine Handels- und Investitionspolitik wirbt, die auf hohen ökologischen und sozialen Standards beruht und nachhaltige Entwicklung in allen Ländern fördert.

Die Kritiker haben damit die frühere Trennung überwunden, die sich aus dem Streit über die Frage ergab, wendet man sich generell gegen TTIP und CETA oder fordert man bessere Abkommen. Diese Frage stellt sich aktuell nicht mehr. Mir ihren inhaltlichen Eckpunkten für eine gerechte Handelspolitik machen sie zudem den entscheidenden Unterschied zu rechten Freihandelsgegnern wie Donald Trump klar.

Vor der Bundestagswahl im Herbst sind keine größeren Aktionen geplant, aber Maier verspricht: Sowie es ernst wird, werden sie ihre Kritik und ihre Alternativen auch wieder auf die Straße tragen. Der Kampf gegen CETA und TTIP hat die europäische Zivilgesellschaft gestärkt. Die 3,5 Millionen Bürger, die die Europäische Bürgerinitiative unterschrieben haben, sind grundsätzlich wieder mobilisierbar. Genauso wie die 500 Organisationen, die sich europaweit der Kampagne angeschlossen hatten. Doch im Augenblick heißt es für sie: Abwarten und die Entwicklungen aufmerksam beobachten.

Nicht entgangen sind ihnen deshalb die Meldungen der vergangenen Tage, wonach Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Wiederaufnahme des Freihandelsabkommens TTIP mit den USA für möglich hält. US-Präsident Trump fordere »faire Bedingungen aus der Sicht seines Landes, und wir achten selbstverständlich auf die deutschen und europäischen Anliegen«, sagte Merkel dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Sie schließt nicht aus, dass die Verhandlungen über ein Handelsabkommen mit den USA eines Tages wiederbelebt werden. Das ist zwar noch reichlich vage, die TTIP-Gegner aber sind alarmiert. Viele hatten ohnehin gewarnt, sich nicht zu früh zu freuen. Verhindert ist TTIP nicht, nur eingefroren.

Zum Abwarten verdammt sind die Gegner auch in Sachen CETA. Der Ratifizierungsprozess in Deutschland wird frühestens nach der Bundestagswahl beginnen. Die Gegner hoffen, das Abkommen über den Bundesrat doch noch stoppen zu können. Ob das Aussicht auf Erfolg hat, hängt vom Ausgang der Landtagswahlen ab. Entscheidend sind die Regierungen mit Beteiligung der Grünen. Wenn diese sich enthalten, könnte es klappen. Baden-Württemberg unter Winfried Kretschmann wackelt jedoch bereits. Unabhängig davon ist umstritten, ob CETA überhaupt die Zustimmung der Länder braucht.

Ein Versuch, schon vor Beginn des Ratifizierungsprozesses Nägel mit Köpfen zu machen, scheiterte kürzlich in Bayern. Nicht nur hier, sondern auch in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein leitete der Verein »Mehr Demokratie« erste Schritte für Volksentscheide gegen CETA ein, um damit die Landesregierungen bei den Abstimmungen im Bundesrat zu binden. Der bayrische Verfassungsgerichtshof stoppte eine entsprechende Initiative im Februar jedoch, unter anderem mit der Begründung, man könne nicht ablehnen, was noch gar nicht begonnen hat. Klingt logisch, ist es aus Sicht der Initiatoren aber nicht: »Inhaltlich sind die Positionen zu CETA klar. Und wenn die Ratifizierung ansteht, kann es schnell zu spät sein«, fürchtet Sarah Händel von »Mehr Demokratie«.

Die Entscheidung über eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht steht ebenfalls noch aus.

Insgesamt müssen 38 Parlamente in den EU-Mitgliedstaaten zustimmen. Hoffnungen richten sich auf die Niederlande. Dort stehen die Chancen gut, dass es zu einem Referendum über die Ratifizierung kommt, erklärt Händel. Sagen die Niederländer Nein, wäre das Abkommen mit Kanada aber immer noch nicht automatisch beerdigt. Wenn nicht weitere Länder folgen, bliebe es wohl wie bisher vorläufig in Kraft, allerdings mit relevanten Einschränkungen.

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