54,1 Milliarden Begehrlichkeiten

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble korrigiert Steuerschätzung nach oben

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Dem Staat geht es gut. Oder zumindest besser als noch im November 2016 angenommen. Um 54,1 Milliarden Euro konnte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Donnerstag die Schätzungen für die Einnahmen von Bund, Ländern und Kommunen bis zum Jahr 2021 nach oben korrigieren. Dies ist das Ergebnis des Arbeitskreises Steuerschätzung, der seit Dienstag in Bad Muskau tagte. Demnach steigen die Einnahmen voraussichtlich von 732,4 Milliarden in diesem auf 852,2 Milliarden Euro im Jahr 2021.

Für 2017 rechnet Schäuble unterm Strich mit Mehreinnahmen von 7,9 Milliarden Euro. 6,5 Milliarden Euro kommen davon den Ländern zugute. »Mit den Entlastungen durch den Bund erhalten sie weiteren finanzpolitischen Spielraum, der ab 2020 mit der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs noch größer werden wird«, so Schäuble. Dabei beruhen seine Prognosen auf der Annahme, dass die Wirtschaft ähnlich stark wächst wie bisher. Seine Schätzer gehen von einem Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent in diesem und 1,6 Prozent im nächsten Jahr aus.

Schon seit geraumer Zeit wecken die steigenden Staatseinnahmen Begehrlichkeiten. Die nun bekannt gegebenen Zahlen sind besonders wichtig, weil es sich um die letzte Schätzung vor der Bundestagswahl handelt. Konkrete Aussagen über Steuersenkungen nach der Wahl im September wollte Schäuble am Donnerstag nicht machen. Er sprach jedoch von einer »maßvollen Entlastung«, die möglich und geboten sei. Zudem hatte er in der Vergangenheit Senkungen im Umfang von jährlich 15 Milliarden Euro und die Abschaffung des Solidaritätszuschlags ab 2020 versprochen, der in den vergangen fünf Jahren im Schnitt jährlich rund 15 Milliarden Euro in die Staatskassen spülte.

Die Abschaffung des Soli ist auch eine alte steuerpolitische Kernforderung der CSU, die nun wieder laut wird. »Wir brauchen nach der Bundestagswahl eine echte Steuerreform mit der schrittweisen Abschaffung des Soli, dem endgültigen Abbau der kalten Progression, eine Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen sowie eine Regionalisierung der Erbschaftsteuer«, bekräftigte Bayerns Finanzminister Markus Söder in der Bild-Zeitung.

Manch einem in der Union geht dies nicht weit genug. »Meiner Meinung nach wird es einen weit größeren Spielraum geben als die bislang in Rede stehenden 15 Milliarden Euro«, sagte CDU-Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann der Nachrichtenagentur dpa. Die Politik verspreche seit Jahren Entlastungen, packe aber durchgreifende Reformen nicht an. »Es dürfen am Ende nicht nur zwei Cappuccino-Tassen übrig bleiben, sondern es muss echte Entlastungen für untere und mittlere Einkommen geben«, so Linnemann. Der Spitzensteuersatz solle erst ab 60 000 Euro Jahreseinkommen greifen.

Derzeit muss ein Single ohne Kinder ab einem zu versteuernden Einkommen von 54.058 Euro diesen Satz von 42 Prozent zahlen. De facto bedeutet dies eine Untergrenze von rund 65.000 Euro, da meist diverse Abschreibungsmöglichkeiten bestehen. Bei einer Familie mit zwei Kindern und einem Alleinverdiener liegt diese Grenze bei rund 135 000 Euro.

Begründet werden Steuersenkungspläne meist mit der sogenannten kalten Progression. Sie entsteht angeblich, wenn die Einkommenssteuersätze nicht der Lohn- und Preisentwicklung angepasst werden. So heißt es oft, dass mittlerweile nicht mehr nur Spitzenverdiener, sondern auch Facharbeiter den Spitzensteuersatz zahlen müssten. Gefüttert wird diese Debatte etwa mit Studien wie der des unternehmernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, die jüngst ergab, dass mittlerweile schätzungsweise 4,2 Millionen Personen den Spitzensteuersatz zahlen würden.

Die Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine Anfrage der LINKEN ergab hingegen, dass tatsächlich nur 2,7 Millionen beziehungsweise 6,4 Prozent aller Steuerpflichtigen diesen Satz zahlen müssen. Den sogenannten Reichensteuersatz von 45 Prozent, der ab einem Jahreseinkommen von 256 303 Euro fällig wird, müssen sogar nur 0,2 Prozent der Steuerzahler berappen. Noch 1998 lag der normale Spitzensteuersatz bei 53 Prozent. Seitdem haben die steuerpolitischen Reformen vor allem die reichsten 30 Prozent entlastet und die unteren 70 Prozent belastet, wie die Ökonomen des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung jüngst zeigten. Vorschläge wie der von CDU-Politiker Linnemann würden diese Entwicklung fortschreiben.

Die LINKE will diesen Trend umkehren. »Höhere Einkommen wollen wir stärker besteuern«, heißt es im Entwurf zum Bundestagswahlprogramm. Demnach soll ab einem Jahreseinkommen von 70 000 Euro wieder der alte Spitzensteuersatz von 53 Prozent gelten, während Einkommen unter 12 600 Euro steuerfrei bleiben.

Die SPD indes hat sich noch nicht festgelegt. Deren Spitzenkandidat Martin Schulz will erst am Montag nach der Wahl in NRW seine Steuerpläne bekannt geben. Für ihn hätten in Bezug auf die Überschüsse die Investitionen »absoluten Vorrang«, erklärte er bei einem Wahlkampfauftritt in Bonn.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal