Herunterfahren statt ausschalten

DAK-Gesundheitsreport: Schlafprobleme werden immer häufiger, bleiben aber meist unterschätzt

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Stadt, die niemals schläft - ganz so wie im New York von Frank Sinatra ist es in Berlin noch nicht, auch wenn Hotels schon mit der »Hauptstadt der Insomnie« werben. Schlaflos feiern rund um die Uhr ist wenigen vergönnt, viele andere wären dankbar für mehr ungestörte und erholsamere Ruhestunden. Das trifft vor allem Erwerbstätige, wie die Krankenkasse DAK-Gesundheit jetzt anhand von Routinedaten ihrer Versicherten und einer Befragung in der Allgemeinbevölkerung herausfand. Die Ergebnisse für den Bund waren bereits im März vorgestellt worden (»nd« berichtete), am Donnerstag wurden die Befunde für die Hauptstadt präsentiert.

Nach den Erhebungen der DAK sind Schlafstörungen auch hier kein Nischenproblem mehr, 76 Prozent der Arbeitnehmer fühlen sich betroffen und kennen Probleme beim Ein- und Durchschlafen. Bei den 35- bis 65-Jährigen sind es sogar rund 82 Prozent. Für die Senioren gilt nach Thomas Penzel, dass in ihrem Alter die Schlafstörungen sogar noch zunehmen. Der Physiker und Physiologe ist wissenschaftlicher Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums der Charité. Einerseits stellte die DAK fest, dass zwar immer mehr Menschen ihre Nachtruhe nicht als erholsam empfinden und tagsüber müde sind, sich das Phänomen andererseits kaum in den Krankschreibungen niederschlägt, zumindest nicht als einzige Diagnose. Zwar leidet jeder zehnte Berliner Erwerbstätige an einer Insomnie und erfüllt alle drei Kriterien dafür - Einschlaf- und/oder Durchschlafstörungen mindestens dreimal pro Woche, schlechte Schlafqualität und Beeinträchtigungen durch Müdigkeit und Erschöpfung am Tage, aber nur 3,6 Prozent der im Herbst 2016 Befragten waren deswegen schon einmal in ärztlicher Behandlung.

Laut Thomas Penzel wissen Hausärzte zwar schon mehr über Schlafstörungen, vermerken eine entsprechende Diagnose aber offenbar nur selten. Der Druck für Betroffene ist aber so groß, dass das Schlaflabor an der Charité Wartezeiten zwischen sechs und acht Monaten hat. Ähnlich sehe es bei den anderen neun anerkannten Schlaflabors in Berlin aus, berichtet Penzel. Er bedauert, dass Menschen erst »sehr zum Schluss« eigener Abhilfeversuche zum Arzt gehen. Jedoch kommen auch Patienten zu ihm, die offenbar noch sehr wenig von Schlafhygiene gehört haben, wie der Manager, der darüber klagt, dass er nicht mehr im Flugzeug schlafen könne. Für die nächtliche Erholung sei nötig, körperlich und psychisch wirklich »herunterzufahren«, bevor man ins Bett geht.

»Wir können uns nicht einfach ausschalten, das funktioniert nicht«, sagt Penzel. Das Risiko von Schlafstörungen steigt offenbar auch mit zunehmender Nutzung von elektronischen Geräten am späten Abend. 85 Prozent der von der DAK Befragten schauen Filme oder Serien, 76 Prozent nutzen Laptop, Smartphone oder Tablet für private Dinge, 15 Prozent beschäftigen sich sogar mit dienstlichen Dingen, indem sie zum Beispiel Mails lesen und beantworten. Diese Gewohnheiten verstärken offenbar die Idee vom Schalter, der einfach nur umgelegt werden muss, sobald die Bettdecke hochgezogen wird. Apps und Geräte zur Schlafkontrolle sind hingegen erst bei höchstens 20 Prozent in Benutzung, am häufigsten sogenannte Fitness-Tracker, darunter Armbänder mit einer Funktion zur Schlafanalyse. Deren Qualität ist aber nach Aussagen von Thomas Penzel sehr unterschiedlich, manchen Nutzer werden dadurch noch nervöser. Zertifizierungen für diese Geräte und Programme als Medizinprodukte gibt es kaum. Als Geschäftsfeld erscheint die Vermessung dieser Körperfunktion jedoch vielversprechend: »Wöchentlich kommen ein oder zwei Erfinder von Start-ups zu uns und fragen, ob wir ihre Apps testen könnten oder was wir davon halten«, erklärt Penzel.

Am Beginn einer schlafmedizinischen Diagnostik steht jedoch ganz profan ein Schlaftagebuch, das mindestens vier Wochen geführt werden muss, um ein Minimum an diagnostischen Kriterien zu erfüllen. Nicht nur für DAK-Versicherte gibt es als schnelle erste Hilfe eine Schlaf-Hotline dieser Kasse, die unter 040-325 325 805 zum Ortstarif rund um die Uhr zu erreichen ist.

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