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Damals in Leipzig

Dieter Hildebrandt 90

  • Harald Pfeifer
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit ihm hatte das politische Kabarett in der Bundesrepublik ein Gesicht. Dieter Hildebrandt prägte jahrzehntelang das Genre. Bekannt war der am 23. Mai 1927 im niederschlesischen Bunzlau Geborene vor allem durch die TV-Sendung »Scheibenwischer«. Herkunftsbedingt - ein Teil seiner Verwandtschaft lebte in der DDR - hatte der Osten für den Wahlmünchner immer eine besondere Bedeutung. Unbedingt wollte Hildebrandt daher in den 1980er Jahren in der DDR auftreten. Eigentlich war es undenkbar, das jemand wie Hildebrandt, von dem man wusste, dass er sich stets gegen staatliche Zensurversuche zu Wehr setzt, dazu von den DDR-Behörden eine Genehmigung erhalten würde.

Dann wurde in der Sowjetunion Michael Gorbatschow Partei- und Staatschef, kamen Glasnost und Perestroika - und auch in der DDR taute es in der politischen Eiszeit zwischen Ost und West ein wenig. Dieter Hildebrandt erhielt von der Leipziger Pfeffermühle eine Einladung und am 10. Januar 1985 stand er gemeinsam mit dem österreichischen Kabarettisten Werner Schneyder in Leipzig auf der Bühne. Und das an einem Ort, an dem das unangepasste Wort - öffentlich ausgesprochen - nicht geschätzt wurde.

Das machte sich bereits vor dem Gastspiel von Hildebrandt und Schneyder bemerkbar. Die einen Genossen himmelten die beiden an, die anderen betrachteten sie als Klassenfeinde, und bei manchem ging der Riss mittendurch. Währenddessen kratzten die beiden Kabarettisten fröhlich am Lack von Partei und Staat. Hildebrandt hatte wie immer auch hier den Blick auf die kleinen Leute gerichtet, die Politik halt ertragen müssen: »Ich öffne dem Staat mein Herz, er öffnet mir meine Briefe dafür. Ich beherrsche mich. Und er mich auch.« So etwas mochten die SED-Funktionäre nicht.

Deshalb hatten sie auch eine »Durchlaufprobe« organisiert. Kontrolle war ja ihr Reflex. Aber die Angst beiderseits, das Gastspiel könne in aller Öffentlichkeit platzen, war groß. Hildebrandt erinnerte sich: »Eine Änderung hatten sie, und die hatten wir ihnen zugebilligt. Aber mehr hatten sie wirklich nicht. Und das war die Erwähnung von Löwenthal (Moderator der Sendung «ZDF-Magazin», die sich ausschließlich mit der DDR und dem «Ostblock» beschäftigte und die Entspannungspolitik Willy Brandts attackierte, d.Red.) im Vergleich zu Schnitzler.« Teil der Kontrolle war auch die »lückenlose Gastfreundschaft«. Wenn die beiden Kabarettisten nicht gerade auf der Bühne standen, war immer etwas organisiert. Man wollte Alleingänge verhindern. Als Dieter Hildebrandt dann aber einmal sagte, er könne nicht, er sei bei der Verwandtschaft zum Essen eingeladen, hieß es, das ginge nicht! Er ist doch gegangen, aber dort saß schon ein Informant in der Runde.

Es war ein streng bewachtes Gastspiel 1985 in Leipzig. Wie sicher sich die DDR-Behörden ihrer Kontrolle waren, wurde auf der Heimreise klar. Der Kleinbus in Richtung München wurde an der deutsch-deutschen Grenze einfach durchgewunken.

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