Thüringens Saftbahnhof

In Donndorf werden auch kleine Mengen ausgepresst - und jeder bekommt garantiert nur sein Produkt zurück

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Reguläre Züge halten nicht mehr in Donndorf. Thüringen hatte 2006 den Schienenverkehr zwischen Nebra und Artern »abbestellt«, wie es die Politik beschönigend nennt, wenn sie ländliche Regionen vom öffentlichen Gleisnetz abschneidet. Inzwischen fährt aber zumindest immer mal ein Zug vorm backsteinernen Bahnhof vor. Der gehört aber längst nicht mehr der Bahn. Maik Rahaus, der neue Besitzer, ließ sich einiges einfallen, damit die nun von einem Verein betriebene Unstrutbahn hier gern mal einen Stopp einlegt, etwa für den Unstrut-Schrecke-Express. Dafür leuchtet am Bahnsteig sogar wieder das Schild »Donndorf (Unstrut)«.

Ins Bahnhofgebäude von 1889 geht es nach wie vor durch die Schalterhalle. Das alte Reichsbahninterieur im Vorraum ist indes nur noch Dekoration. Denn durch die frühere Fahrkartenausgabe glänzt bereits ein gänzlich neues Innenleben. Edelstahltanks, Saftpressen und Obststiegen bestätigen, was schon über der Eingangstür steht: Im Donndorfer Bahnhof ist nun eine Obstmosterei zu Hause. Und diese ist ein gefragtes Etappenziel für die Ausflügler, bevor sie weiter rollen - zum Wandern in die Hohen Schrecke oder zur Himmelsscheibe Nebra.

Der 28-Jährige ist selbst ein Donndorfer Urgestein. Zwar verschlug es ihn zur Lehre als Fruchtsafttechniker wie auch zur ersten Berufspraxis ins Rheingau und das Weserbergland - doch danach mit aller Macht zurück. Seinen Zivildienst absolvierte Rahaus in der Ländlichen Heimvolkshochschule Kloster Donndorf. Schon da war ihm klar, dass er sich mal eine eigene Mosterei aufbauen will. Auf der Suche nach einer Immobilie stieß er auf den zum Verkauf stehenden Bahnhof.

Man nicht allzu weltfremd sein, um zu ahnen, was nun zunächst auf ihn zukam. So wollte die Bahn für die verwaiste Station fast noch siebenstellig absahnen. Auch die Banken lächelten nur milde, als er um einen Kredit nachsuchte. Rahaus war halt gerade 22 und sah noch jünger aus. Doch sobald er angefangen habe, seine Ideen darzulegen, sei »zumindest die Skepsis bald verflogen«, schmunzelt er nun seinerseits. Die Experten merkten schnell: Da weiß einer, was er will und vor allem, wovon er spricht.

So half ihm sogar die Kyffhäusersparkasse, einen belastbaren Geschäftsplan zu erstellen, und Donndorfs Bürgermeisterin Gudrun Holbe warb bis Erfurt um Unterstützung für seine Ideen. Der alte Bahnhof wurde plötzlich sogar eine Art Pilotvorhaben im regionalen Naturschutzförderprojekt »Hohe Schrecke - Alter Wald mit Zukunft«, das sich speziell diesem urwüchsigen Thüringer Höhenzug widmet. Am Ende blätterte Rahaus für den Backsteinbau lediglich 3000 Euro hin und bekam auch den teuren Innenausbau zu 40 Prozent bezuschusst. Denn damit, so hieß es, leiste er auch einen wertvollen Beitrag für regionale Nachhaltigkeit. Die umliegenden Streuobstwiesen ließen sich damit wieder wirtschaftlich nutzen.

Seit er im Herbst 2015 eröffnete, ging es stetig aufwärts mit seiner Mosterei, versichert Rahaus, der nach wie vor als Haustechniker an der Heimvolkshochschule tätig ist. Inzwischen habe er unter anderem in Jena und Leipzig Kunden. Seinen Erfolg verdanke er dem Umstand, dass er gezielt auf eine Strategie setzt, wie sie größere Lohnmostereien nicht praktizieren: Er presst auch kleine Mengen selektiv und garantiert so den Obstlieferanten, dass sie garantiert den Saft ihrer Äpfel abgefüllt bekommen. Damit kann er dann auch problemlos Sonderrezepte oder Spezialwünsche berücksichtigen, etwa Äpfel, die mit Zwiebeln, Sellerie oder Rote Bete zu Most verarbeitet werden. »Das bewusste Essen kommt immer mehr zurück«, beobachtet er die Entwicklung der Kundenwünsche.

Die Säfte, die er aus Äpfeln, Birnen und Quitten seiner eigenen Streuobstwiesen presst, kreiert Rahaus ähnlich fantasievoll. Damit bewirtet er dann auch die Zugreisenden, die an seinem Bahnhof einen Zwischenhalt einlegen. Speziell für diese Genießer plant er als Nächstes den Umbau des Windfangs des Bahnhofs in einen Verkostungsraum. Hier will er die Gäste »mit allen Sinnen« betören: Musik, Farbe, Licht, Geschmack. Denn über farbliches Umgebungslicht lasse sich auch der Geschmack beeinflussen, versichert er: »Im Umfeld grüner Töne empfindet man manches Bouquet ganz anders als etwa bei roten - die einen verstärken birniges Aroma, die anderen den Geschmack roter Früchte ...«

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