Deutsche Klimaschutz-Heuchelei: Global hui, national pfui

Katja Kipping macht darauf aufmerksam, dass neben Trump auch die Bundesregierung das Klimaschutzabkommen unterläuft

  • Katja Kipping
  • Lesedauer: 7 Min.
LINKE-Chefin Katja Kipping setzt sich für mehr Klimagerechtigkeit ein
LINKE-Chefin Katja Kipping setzt sich für mehr Klimagerechtigkeit ein

Mit dem Ausstieg aus dem Klimaabkommen wird Donald Trumps Wahnsinn und der ihn tragende Lobbyismus der US-amerikanischen Kohle- und Ölindustrie zur existentiellen Bedrohung für Milliarden Menschen – und in der Konsequenz des gesamten Planetens. Die gegenwärtige Administration im Weißen Haus erklärt damit der Erde und dem Recht auf Leben den Krieg und provoziert neue Fluchtursachen. Besonders die armen Menschen dieser Welt leiden unter den Folgen des Klimawandels. Dass hierzulande die AfD ins gleich Horn stößt, macht deutlich, wes Geistes Kind die Rechtspopulisten sind.

Die Bundesregierung sollte sich allerdings besser an die eigene Nase fassen. Wer die eigenen Klimaschutzziele verfehlt, Vereinbarungen über Abgasbegrenzungen bei Autos in der EU aktiv torpediert und Braunkohlemeilern eine jahrzehntelange Verschmutzungs-Garantie gibt, sollte sich Vorhaltungen gegen andere sparen. Deutschland ist noch immer der globale Braunkohleweltmeister. In unserem Land fördern und verbrennen wir den dreckigsten aller fossilen Energieträger. Es sind diese fossilen Brennstoffe, die den Klimawandel massiv vorantreiben – und wir tun dies mehr als jedes andere Land auf der Erde. In absoluten Zahlen liegt Deutschland sogar vor Indien oder gar China. Und auch in Deutschland werden noch immer Dörfer abgebaggert, um neue Tagebaue aufzuschließen. Das Versagen der Bundesregierung in der Klimapolitik kommt einem stillen Austritt aus dem Pariser Abkommen gleich. Damit hat die Bundesregierung zugleich jede Möglichkeit verspielt, um die Trump-Administration unter Druck zu setzen oder zumindest international zu isolieren. Klimaschutz braucht ein wirkliches Umsteuern, zu dem die Regierung Merkel und Gabriel weder willens noch in der Lage ist.

Ohne Druck von der Straße geht es nicht

Wir sollten uns alle vergegenwärtigen, dass die Dramatik der Klimafrage eine derart historische Dimension hat, dass selbst die größte Parteienkoalition im deutschen Bundestag sie nicht wird schultern können. Wir brauchen eine starke internationale Bewegung für Klimagerechtigkeit, nur dann werden wir auch scharfe und rechtlich verbindliche multilaterale Klimaverträge kriegen. Dieser Druck wird nur entstehen – und das zeigen uns die Proteste gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA – wenn er nicht nur aus den Parlamenten, sondern aus der Gesellschaft kommt. Im Herbst 2017 findet in Bonn die Fortsetzung der internationalen Klimaverhandlungen zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens statt. In unmittelbarer Nachbarschaft liegt mit dem rheinischen Braunkohlerevier die größte CO2-Quelle Europas. Hier wird weiter der klimaschädlichste Energieträger abgebaut und verfeuert. Schon jetzt haben Umweltgruppen und Klima-Aktivist*innen Protest im Braunkohlerevier angekündigt. Sie wollen mit Aktionen des zivilen Ungehorsams verdeutlichen, dass die Kohle nicht nur in der Erde bleiben muss, sondern dass wir eine stärkere gesellschaftliche Bewegung für mehr Klimagerechtigkeit brauchen.

Die Klimakrise ist eine der zentralen Gerechtigkeitskrisen der heutigen Zeit. Es geht schon längst nicht mehr nur um Eisbären. Wir nähern uns trotz des Pariser Abkommens den berüchtigten »Kipppunkten« im Klimasystem, etwa dem Versiegen des Golfstromes mit katastrophalen Konsequenzen. Von den 17 Jahren dieses Jahrtausends zählen 16 zu den heißesten, die jemals gemessen wurden. Wir haben die CO2-Konzentration schon deutlich überschritten, bei der uns Wissenschaftler eine 50-prozentige Chance einräumen, dass das Weltklima nicht total vor die Hunde geht, sprich, instabil wird. Studien der UN belegen, dass bis zum Jahr 2050 geschätzte 200 Millionen Menschen auf der Welt vor den Folgen von Stürmen, Dürren oder Überschwemmungen flüchten werden. Daher ist der Ausstieg von Trump aus dem Klimaschutz nicht nur eine Kriegserklärung an die Erde, sondern in der Konsequenz auch an die Lebensweise besonders der armen Menschen auf unserer Welt.

Wissenschaftler*innen schützen sich vor Trump

Donald Trump ist in seiner Administration nicht nur von Klimawandel-Leugnern umgeben, er hat vom Tag eins seiner Präsidentschaft an den Klimaschutz zum Gegner erklärt. Er hat das Budget der Umweltbehörde EPA um 30 Prozent gekürzt und die Mitarbeiterzahl um ein Fünftel reduziert. Zusätzlich hat er beispielsweise ein Programm zur Erfassung von Klimagasen wie Methan radikal verkleinert. Andere Programme, beispielsweise zur Sanierung von Industriegebieten oder zur Unterstützung der indigenen Bevölkerung in Alaska, wurden gänzlich gestrichen. Zugleich hat er viele Regulierungen und Umweltauflagen für die Öl- und Gasindustrie wieder aufgehoben und mit Scott Pruitt einen offenen Klimawandel-Leugner an der Spitze der Behörde gesetzt.

Demgegenüber haben US-Klimaforscher dazu aufgerufen, ihre eigenen Forschungsdaten auf andere Server zu kopieren, um sie zu sichern. An der Universität Toronto wurde ein Projekt der »Guerilla-Archivierung« gestartet und auch auf der Seite »Climate Mirror« haben sich Wissenschaftler*innen zusammengeschlossen, um wichtige Klimadaten vor Donald Trump in Sicherheit zu bringen. Der Feldzug von Donald Trump gegen unseren Planeten hat also lange vor der Entscheidung begonnen, aus Paris auszusteigen. Er begann, als er Obamas schon viel zu schwache Klimapolitik zurückrollte; er setzte dies fort, als er entschied, die berüchtigte Keystone XL-Pipeline von Kanada in die USA zu bauen und dafür das große zivile Protestcamp ‘Standing Rock’ zu räumen. Dass er jetzt aus Paris aussteigt, führt uns in Europa nur noch viel deutlicher vor Augen, wie rückwärtsgewandt seine Politik tatsächlich ist.

Wo bleibt der schnelle Kohleausstieg in Deutschland?

Aber das sollte uns nicht den Blick dafür verstellen, dass Deutschland eben kein Klimaschutzweltmeister ist, sondern, wenn überhaupt, Weltmeister in der Klimaheuchelei. Bei all den Krokodilstränen, die jetzt im Kanzleramt wegen Paris vergossen werden, fragen wir LINKE: und warum gibt es dann hierzulande noch kein ökologisch nachhaltiges Kohleausstiegsgesetz inklusive eines Strukturwandelfonds zur sozialen Absicherung der im Braunkohletagebau Beschäftigen, wie von uns schon seit langem gefordert? Alle Klimaforscher sagen, wir brauchen einen schnelleren Kohleausstieg, wenn wir die Pariser Klimaziele einhalten wollen. Umweltschutzministerin Barbara Hendricks hat dafür letztes Jahr sogar einen halbwegs sinnvollen Plan vorgelegt - der dann von Gabriels Wirtschaftsministerium und von Merkels Kanzlerinnenamt zerschossen wurde. Das ist einfach nur Heuchelei: global hui, national pfui. In Paris unterschreiben, hier weiter baggern. Wirklicher Klimaschutz, wirkliche Klimagerechtigkeit sieht anders aus.

Deshalb, und das ist wirklich keine klassische Frage von links oder rechts, müssen wir alle multilateralen Maßnahmen gegen den Klimawandel stärken. Denn der Klimawandel macht bekanntlich an keiner Grenze halt und deswegen kann er auch nicht Land für Land reguliert werden. Aber multilaterale Abkommen beantworten nicht sofort die Frage, wie ein wirksamer Klimaschutz aussehen kann. Hier müssen wir auch sehr ehrlich sein. So richtig viel Klimaschutz haben die UN-Klimagipfel in den über zwanzig Jahren ihres Bestehens auch noch nicht durchsetzen können: Denn die globalen Treibhausgasemissionen steigen weiter. Wer glaubt eigentlich noch ernsthaft, dass wir auf einem endlichen Planeten ein unendliches Wirtschaftswachstum haben können? Die Frage lautet also ganz drastisch: Weiter so mit dieser Form der ressourcenfressenden Globalisierung oder Klimagerechtigkeit? Oder ganz klassisch: Kapitalismus oder Klimagerechtigkeit?

Alle jene, die jetzt empört mit dem Finger auf Donald Trump zeigen, sollten auch über die Klimapolitik der Bundesregierung sprechen. Auch hier brauchen wir – selbst in Wahlkampfzeiten – mehr Ehrlichkeit. Die Exportmodellpolitik, mit ihrem industriellen Mantra, dass Ziel und Endpunkt jeder deutschen Politik der Verkauf von mehr Autos sein soll, schadet dem Klima mindestens ebenso, wie es Donald Trump jetzt mit seinem kurzsichtigen ökonomischen Nationalismus tun wird. Wenn wir das nicht erkennen, erschöpft sich jeder Protest gegen Trump letztlich nur in vielleicht populären, aber auch nur antiamerikanischen Affekten.

Kein Klimaschutz ohne globale Gerechtigkeit

Gemeinsam mit vielen anderen Faktoren ist der Klimawandel eine der häufigsten Fluchtursachen, vor allem in Teilen des afrikanischen Kontinents. Wir wissen heute schon, dass auch diesen Sommer die Zahl der ertrunkenen Bootsflüchtlinge auf dem Mittelmeer wieder dramatisch zunehmen wird. Sind wir also bereit anzuerkennen, dass eine nachhaltige Bekämpfung von Fluchtursachen in Afrika letztlich auch heißt, hier aus der Kohle auszusteigen und weniger dreckige Betrugsautos für die Welt zu produzieren? Ich weiß, wie unpopulär diese Frage ist – aber wir sollten sie uns stellen und die richtigen Antworten finden, über alle Grenzen hinweg und gemeinsam. Eins scheint mir sicher: Es gibt keinen wirksamen Klimaschutz ohne ein Mindestmaß an globaler Gerechtigkeit. Wir brauchen eine Globalisierung des Sozialen und fairer Handelsbeziehungen. Das heißt nichts anderes, als dass wir nicht nur unsere Produktionsweise nachhaltiger gestalten müssen, sondern wir sollten auch unseren Wachstumsfundamentalismus viel offener in Frage stellen. Denn es gibt keinen Plan B für den Klimaschutz, weil wir keinen Planeten B haben. Der Klimawandel wartet nicht auf uns.

Beim Pro-Kopf-Ausstoß von CO2 liegt Deutschland im weltweiten Vergleich auf Platz fünf.
Beim Pro-Kopf-Ausstoß von CO2 liegt Deutschland im weltweiten Vergleich auf Platz fünf.
Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal