Bartsch: Wünsche mir Mitte-Links

Kipping: Werden aber keinen Regierungswahlkampf machen / Wagenknecht: »Lieber gute Opposition« / Gysi: »Müssen kompromissfähig sein«

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Berlin. Vor dem Hintergrund des Linksparteitags in Hannover geht die Debatte über eine mögliche Regierungsbeteiligung und die Bedingungen dafür weiter. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch sprach sich für ein rot-rot-grünes Bündnis aus: »Ich wünsche mir eine Mitte-Links-Koalition. Wir können Opposition, das haben wir viele Jahre bewiesen. Wir wollen jetzt aber Regierungsverantwortung übernehmen«, sagte er im Sender Phoenix.

Die Linkspartei biete als einzige die Gewähr dafür, dass es im Herbst nicht wieder eine Kanzlerschaft von Angela Merkel gebe. »Nur wer die Linke wählt, bekommt nicht Merkel als Kanzlerin. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal«, wies Bartsch darauf hin, dass es bei SPD und Grünen durchaus Bestrebungen einer Koalition mit der Union gebe. Der Spitzenkandidat kündigte für den Fall einer rechnerischen Mehrheit harte Verhandlungen mit SPD und Grünen über Auslandseinsätze der Bundeswehr an. »Niemand plädiert für die Abschaffung der Bundeswehr. Aber seit 15 Jahren sind wir in Afghanistan und die Situation ist heute desaströser als 2002. Da sind Milliarden versenkt worden«, so Bartsch, der eine Beendigung dieses Einsatzes forderte.

Die Frage, inwieweit sich die Linke eine mögliche rot-rot-grüne Regierung offen halten soll, ist innerhalb der Partei umstritten. Fraktionschefin Sahra Wagenknecht sagte der »Passauer Neuen Presse« vom Freitag: »Lieber gute Opposition als schlechte Regierungspolitik.« Die SPD habe »ein so mutloses Programm vorgelegt, dass man das eigentlich nur als Werben um eine Fortsetzung der Großen Koalition verstehen kann«. Im Unterschied zu SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz »finden wir uns nicht damit ab, dass inzwischen jeder fünfte Beschäftigte im Niedriglohnsektor arbeitet«, sagte die Spitzenkandidatin ihrer Partei für die Bundestagswahl.

Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur sagte die Spitzenkandidatin, »Anfangs gab es die Hoffnung, dass der Neuanfang mit Schulz auch eine Neuorientierung der SPD - weg von der alten Agenda-Politik - bringen würde. Aber Schulz hat sich große Mühe gegeben, diese Hoffnung schnell und nachhaltig zu entkräften.« Eine rot-rot-grüne Option sehe sie nur, »wenn die Linke ein so überraschend gutes Ergebnis erzielt, dass es das politische Spektrum und die SPD massiv unter Druck setzt«. Dann sei »vielleicht noch etwas möglich«.

Wenn die Linke allerdings nicht den erhofften Überraschungserfolg erziele, sei relativ klar: »Die SPD wird, wenn Merkel das will, sich weiter in einer große Koalition verbiegen«, so Wagenknecht. Alternativ hätten Kanzlerin Angela Merkel und ihre CDU vielleicht auch die Chance, mit der FDP oder mit FDP und Grünen zu regieren. »Wenn es bei einer Wahl nur noch darum geht, mit wem die aktuelle Regierungschefin weiterregiert, ist das natürlich todlangweilig.«

Sie würde sich wünschen, so Wagenknecht weiter, »dass der Erfolg von Labour-Chef Jeremy Corbyn die SPD noch einmal wachrüttelt. Er ist aus einer aussichtslosen Position gestartet und hat ein grandioses Ergebnis erzielt. Aber eben nicht durch Anpassung an den neoliberalen Mainstream, sondern durch Glaubwürdigkeit und konsequente soziale Forderungen«. Die Linkspolitikern sagte weiter, »hätte die SPD einen deutschen Corbyn aufgestellt, wäre ich und jeder in der Linken sofort bereit, ihn zum Kanzler zu wählen. Dann wäre die Koalitionsfrage entschieden. Denn wir könnten guten Gewissens dafür werben, so eine Koalition anzustreben.«

Der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke sagte vor den Delegierten des Parteitags in Hannover mit Blick auf SPD-Chef Martin Schulz: »Wir sollten uns nicht an diesen komischen Schulz binden und damit absacken.« Beifall erhielt auch ein Redner der antikapitalistischen Parteiströmung bei der Werbung für einen klaren Oppositionskurs: »In einer kapitalistischen Gesellschaft gehört der größte Mut immer noch dazu, Nein zu sagen.«

Die Vorsitzende Katja Kipping rief ihre Partei in Hannover hingegen dazu auf, sich einem rot-rot-grünen Bündnis nicht zu verschließen. Die Linke werde keinen Regierungs- oder Lagerwahlkampf führen, sagte Kipping vor den gut 400 Delegierten. Sie solle sich aber auch nicht auf die Oppositionsrolle reduzieren. »Machen wir uns nicht kleiner als wir sind«, rief die Parteichefin den Delegierten zu. Es müsse Mut gemacht werden, »dass sich hierzulande und in Europa etwas Grundlegendes ändern kann«. Dass es nicht so weitergehen könne wie bisher, zeige allein die Bilanz der Regierung Merkel. Diese habe die Bundesrepublik »zu einem Land der Millionäre und der Millionen in Armut gemacht«. Eine Politikwechsel sei für die Linken nur denkbar, wenn die Situation von Millionen Hartz-IV-Empfängern in Deutschland deutlich verbessert werde, sagte Kipping.

Auch der langjährige Linken-Fraktionschef Gregor Gysi warb für die Option einer rot-rot-grünen Koalition. »Ich bin dafür, dass wir das anbieten, weil wir ja eine alternative Politik wollen«, sagte der Vorsitzende der Europäischen Linken im Südwestrundfunk. In einer Regierungskoalition müsse die Linke auch bereit sein, Kompromisse einzugehen, mahnte Gysi weiter: »Wer nicht kompromissfähig ist, ist nicht demokratiefähig«.

In dem Wahlprogramm, das die Delegierten ab Freitagabend beraten wollen, stellt sich die Linke gegen die Rente mit 67 und plädiert für eine Anhebung des Rentenniveaus von derzeit etwa 48 Prozent auf 53 Prozent.

Den Mindestlohn will die Linke von 8,84 Euro auf zwölf Euro erhöhen, das Arbeitslosengeld I verlängern. An die Stelle der bisherigen Hartz-IV-Sätze soll eine sanktionsfreie Mindestsicherung in Höhe von 1050 Euro treten.

In der Steuerpolitik plädiert die Linke dafür, den Spitzensteuersatz auf 53 Prozent anzuheben. Er soll ab einem Jahreseinkommen von 70.000 Euro gelten. Eine Reichensteuer von 60 Prozent soll auf Einkommen 260.000 Euro Jahreseinkommen erhoben werden, oberhalb einer Million Euro sollen 75 Prozent gelten. Vermögen sollen ab einer Million Euro mit fünf Prozent besteuert werden. Agenturen/nd

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