Im Dorf gibt’s Prügel

Theater an der Parkaue Berlin: die Uraufführung »Das Ende von Eddy«

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn die Prosavorlage schon eine Katastrophe ist, dann kann die Bühnenadaption nichts falsch machen. Ließe sich ja, so könnte man meinen, im negativen Fall alles auf die Schwächen des Autors zurückführen. Aber so einfach ist es natürlich auch wieder nicht. Immerhin ermöglicht die Schauspielkunst dramaturgische und visuelle Schwerpunktsetzungen. Und da hat das Theater an der Parkaue für die Uraufführung des Romans »Das Ende von Eddy« eine gute Entscheidung getroffen.

In dem 2015 erschienenen Millionenseller beschreibt Édouard Louis, ein Schüler des im vergangenen Jahr zur linken Berühmtheit gewordenen Soziologieprofessors Didier Eribon, seinen sozialen Aufstieg aus der nordfranzösischen Dorfunterschicht bis zum Universitätsstudium. Im Buch nennt er sich Eddy Bellegueule (französisch für »schöne Fresse«). Und der retrospektiv Erzählende hat - so lautet der erste Satz - »keine einzige glückliche Erinnerung« an seine Kindheit, weil er in einer bornierten, geistesschlichten Lebenswelt voller Arbeiter aufgewachsen ist, die sich durch zwei Eigenschaften auszeichnet: Rassismus und Homophobie.

In der Konzentration auf das zweite Merkmal liegt die große Stärke der Inszenierung unter der Regie von Leyla-Claire Rabih. Erweckt der Roman formal und inhaltlich noch den Eindruck, dass ein dem Elend triumphal Entronnener in den warmen Armen der Akademiker mithilfe seiner gewonnenen Diskursmacht auf sein Herkunftsmilieu eindrischt, wählt Rabih einen neuen Fokus. Sie lässt vier Darsteller auftreten, die statt einer Darbietung der nach außen gerichteten Wut lieber einen Blick ins Innere des mit dem eigenen Werden hadernden Eddy gewähren.

Feste Rollen gibt es keine, manchmal wechselt sich das Quartett mitten im Satz ab. Jeder intoniert das Gesagte mit seinem eigenen Duktus. Auf diese Weise rücken Nico Ehrenteit, Mira Tscherne, Andrej von Sallwitz und Robert Zimmermann das langsam sich ins Bewusstsein drängende Schwulsein der Hauptfigur multiperspektivisch in den Mittelpunkt. Auf der mit zusammenschiebbaren, würfelförmigen Paletten installierten Bühne von Stefan Oppenländer tragen sie die dementsprechend wichtigsten Passagen aus dem Roman vor und schlüpfen dabei nur selten auch szenisch in die Rollen des Opfers oder seiner Peiniger.

Gerade im Hinblick auf die Zielgruppe der Jugendlichen ab zwölf Jahren entwickelt sich dadurch ein in seiner Anschaulichkeit bewegender und darum lehrreicher Theaterabend. Wie absurd und menschenverachtend der Hass auf und die Furcht vor Homosexualität sich auswirken können, das zieht dieses Ensemble als Quintessenz aus einem insgesamt sehr schwachen, weil künstlerisch uninspirierten und politisch nach unten tretenden Buch.

In ihrem mimischen Minimalismus großartig ist etwa die Szene, in der Eddy auf dem Schulhof angespuckt wird und sich aus Angst die bis zum Mund herunterrinnende Rotze nicht wegwischt. Oder auch die tragikomische Episode, in der eine Jungsclique rund um Eddy beim röhrenden Betrachten eines Pornos im Rudel onaniert und das Gesehene nachspielt. Weil so schnell keine Mädchen aufzutreiben sind, legen sich die Knaben gegenseitig flach, während jeweils einer in der Rolle der sich penetrieren lassenden Frau einen Ring tragen muss, denn selbstverständlich hat das Ganze nichts, aber auch überhaupt nichts mit schwulem Sex zu tun.

Sequenzen wie diese sind das Beste am »Ende von Eddy«. In Édouard Louis’ Buch sind die sozialen Probleme raumgreifender. Das allein ist nicht schlimm. Der Schriftsteller kontextualisiert das ihm Widerfahrene aber nicht. Von seiner Familie wird Eddy wegen seines als unmännlich identifizierten Gehabes verlacht, verachtet und verprügelt; die Eltern rauchen und saufen und sehen den ganzen Tag fern, ohne sich Arbeit zu suchen oder die schulischen Leistungen ihres Sohnes zu würdigen. Sie erscheinen alle, als wäre ihr Verhalten nur auf einen bösen Charakter zurückzuführen. Da verwundert es nicht, dass auch die Bühnenfassung stellenweise den stereotypisierten Spott gegenüber materiell Armen und von bürgerlicher Bildung fern Gehaltenen plakativ ausstellt. Und es verwundert erst recht nicht, dass diese Passagen im Publikum die meisten Lacher auslösen.

Der Roman fragt nicht nach Ursache und Wirkung, er entwickelt zu dem Leid des Protagonisten keine ambitionierte Haltung, sondern verharrt in der Attitüde des Geflüchteten. Dennoch verhindert auf der Lichtenberger Bühne die sorgsam inszenierte Suche eines jungen Menschen nach seiner Identität ein angesichts der indiskutablen Qualität der literarischen Bezugsquelle eigentlich zu erwartendes Desaster.

Nächste Vorstellungen: 15., 16. und 17. Juni im Theater an der Parkaue, Parkaue 29, Berlin-Lichtenberg

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