Falsche Versprechungen

Die Grundgesetzänderung vor wenigen Wochen hat privaten Investoren auch im Schulbereich Tür und Tor geöffnet

  • Brigitte Schumann
  • Lesedauer: 5 Min.

Vom US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedman stammt die Idee der Bildungsgutscheine. Er behauptete schon in den 1970er Jahren, dass sie zur Verwirklichung des Bürgerrechts auf Bildung beitrügen, weil damit nicht die Bildungsinstitutionen, sondern eigenverantwortliche Individuen staatlich gefördert würden. Mit der Privatisierung des Bildungswesens soll ein produktiver, »gesunder« Wettbewerb entstehen, der Leistungsverbesserungen und Effizienzsteigerung ermöglicht. Ergänzt um eine an Markt- und Managementstrategien orientierte Verwaltungsreform sollen die »Blockaden« der etatistisch-bürokratischen Steuerung aufgebrochen werden.

Mit internationalen Leistungsuntersuchungen wie den PISA-Studien hat die OECD einen globalen Austausch und Wettbewerb von Bildungspolitiken in Gang gesetzt, die für die Verbreitung und Übertragung des neoliberalen »Bazillus« sorgen. Inzwischen sind die Bildungssysteme in den meisten Ländern von diesem »Bazillus« infiziert. In den USA machen Konzerne unvorstellbare Gewinne mit Testprogrammen und privaten »Charter Schools« und drängen auch auf europäische Märkte. Die Weltbank sorgt mit ihrer Kreditpolitik dafür, dass auch ärmere Länder zentrale Bereiche ihrer Daseinsvorsorge wie die Bildung privatisieren müssen.

Dies geht aus der Studie einer internationalen Forschergruppe hervor, die im vergangenen Jahr unter dem Titel »Global Education Reform« veröffentlicht wurde. Die Wissenschaftler untersuchten in ihrer vergleichenden Fallstudie Finnland und Schweden, Chile und Kuba, Kanada und die USA.

Die Basis für das neoliberale Wettbewerbsmodell ist die freie Wahl zwischen Schulen in privater und öffentlicher Trägerschaft. Private Schulen werden komplett staatlich finanziert, sind aber befreit von den »Zwängen« staatlicher Regulierung. Die staatliche Finanzierung folgt den individuellen Wahlentscheidungen für die präferierten Einrichtungen und wird über Bildungsgutscheine der »Bildungskonsumenten« eingelöst. Um die Institutionen in ihrer Leistungsfähigkeit messen und miteinander vergleichen zu können, werden sie an festgesetzten Leistungsstandards gemessen. Die Evaluation erfolgt testbasiert und extern. Werden Mindeststandards nicht eingehalten, können weitreichende Sanktionsmöglichkeiten von der Entlassung des Lehrpersonals bis zur Schulschließung zum Zuge kommen.

Die Forscher arbeiteten in ihren Fallstudien heraus, dass dieses Modell der Vorstellung von ganzheitlich orientierter Bildung widerspricht und individuelle Förderung sowie eigenverantwortliches und anspruchsvolles Lernen be- und verhindert. Die wettbewerbliche Standardisierung verengt das Curriculum in seiner inhaltlichen Breite und reduziert Komplexität auf eindeutig Messbares. Der Erwerb sozialer, kreativer und demokratischer Kompetenzen tritt hinter die bildungsökonomische Anpassung an extern vorgegebene Ziele in den »Kernfächern« zurück.

»Eine Schule zu leiten und Kühlschränke zu verkaufen, das ist ein und dasselbe. Man muss in beiden Fällen das Ohr am Markt haben und verstehen, wo die Bedürfnisse der Konsumenten, der Schüler sind.« Die Autoren der Studie charakterisieren mit dieser Aussage eines Betreibers von kommerziellen schwedischen Privatschulen den Wandel, der sich im schwedischen Schulsystem vollzogen hat. Der Bruch mit der sozialen und demokratischen Schultradition wurde von der liberal-konservativen Regierung in den 1990er Jahren eingeleitet, als sich die Finanznöte der öffentlichen Haushalte auch in Schweden spürbar bemerkbar machten.

Während in den 1950er Jahren der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die private Schulen mit einem religiösen oder pädagogischen Profil besuchten, nur ein Prozent betrug, besuchten 2010 mehr als 15 Prozent der Schülerinnen und Schüler in den Jahrgängen 1 bis 9 der schwedischen Gesamtschule und fast 50 Prozent in der Sekundarstufe II Schulen privater Anbieter. Statistiken weisen aus, dass inzwischen ein Viertel des schwedischen Schulsystems in privater Hand ist. Insbesondere die kommerziellen Schulfirmen haben ihren Markt strategisch in den größeren Städten ausgeweitet und machen beträchtliche Gewinne.

Die Fallstudie zu Schweden stellt den damit einhergehenden Leistungsverfall heraus. Bei PISA 2000 konnte Schweden noch einen Platz in der Spitzengruppe der Länder einnehmen. Bei PISA 2012 zeigte sich dagegen ein scharfer Leistungseinbruch in allen Kompetenzbereichen. Der OECD-Report bescheinigt Schweden eine signifikante Zunahme von Schülerinnen und Schülern ohne Grundkompetenzen und die Halbierung der leistungsstarken Spitzenschülerschaft in Mathematik innerhalb einer Dekade. Zudem konstatiert die Fallstudie, dass die Wahlfreiheit sozial selektiv wirkt und zu einer Zunahme von Segregation und Ungleichheit führt.

Im Vergleich zu den USA oder Schweden ist Deutschland in Sachen Privatisierung des Bildungssystems noch Entwicklungsland. Doch auch hier stellt der nationale Bildungsbericht 2016 einen kontinuierlichen Anstieg der Zahl von Privatschulen fest. Für den allgemeinbildenden Bereich konstatiert er seit 2004 eine Erhöhung um 33 Prozent, und elf Prozent des Schulangebots wird inzwischen von privaten Trägern gestellt. In den dünn besiedelten ländlichen Gebieten Ostdeutschlands übernehmen kleine private Schulen inzwischen eine »Substitutionsfunktion« für öffentliche Schulen, die wegen sinkender Geburtenraten und der damit einhergehenden rückläufigen Zahl von Schülern geschlossen wurden. Kritisch wird im Bildungsbericht auch ihre sozial selektive Funktion herausgestellt und angemerkt, dass die Schülerschaft an Privatschulen insbesondere in Großstädten aus Verhältnissen stammt, die sozioökonomisch günstiger sind als jene, aus denen die Schüler staatlicher Schulen sich rekrutieren.

Dass Unternehmen über ihre Stiftungen schleichend in Schulgründungen einsteigen, ist inzwischen auch beobachtbar. Allerdings können profitorientierte Bildungskonzerne selbst (noch) keine eigenen Schulen gründen, dafür staatliche Vollfinanzierung kassieren und saftige Gewinne machen wie z. B. in den USA, Schweden und Chile. Das Geschäft mit der Bildung machen hierzulande kommerzielle Nachhilfeinstitute mit Umsätzen im Milliardenbereich, wie die Hans-Böckler-Stiftung in einer aktuellen Studie festgestellt hat.

Die Grundgesetzänderung vor wenigen Wochen, durch die der Bund mehr Entscheidungsbefugnisse beim Bau und Betrieb von Infrastruktur wie Autobahnen, aber auch Schulen erhielt, hat den privaten Investoren auch im Schulbereich Tür und Tor geöffnet. So sind jetzt Öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) möglich, bei denen private Unternehmen Schulen bauen und betreiben und diese dann an die öffentliche Hand vermieten. Und mit der Beteiligung der FDP an der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen droht die Einführung von Bildungsgutscheinen. Milton Friedman hätte seine helle Freude an dieser Entwicklung.

Adamson, Frank, Astrand, Björn, Darling-Hammond, Linda (Hrgs.): Global Education Reform. How privatization and public investment influence education outcomes. New York and London 2016.

Brigitte Schumann war von 1990 bis 2000 bildungspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen in Nordrhein-Westfalen (NRW).

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