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Sanktionen von Schülern für Schüler

Junge »Richter« im Harz sind 14 bis 19 Jahre alt

  • Theresa Held
  • Lesedauer: 3 Min.

Oberharz am Brocken. Seit fast zehn Jahren sitzen Schüler im Harz über Straftaten Gleichaltriger zu Gericht. 64 Schülerrichter haben bisher etwa 350 Fälle verhandelt, teilte das Justizministerium mit. Es geht um Diebstähle, Sachbeschädigungen, Hausfriedensbrüche, Beleidigungen. Die Schülerrichter sind zwischen 14 und 19 Jahre alt. Sie bekommen die Fälle von der Staatsanwaltschaft zugewiesen.

Während der Verhandlungen, die jeden dritten Sonnabend im Monat stattfinden, nähmen sich die Jugendlichen Zeit, mit den Beschuldigten auch grundsätzliche Fragen zu diskutieren, sagte Evelyn Zinke vom Anti-Gewalt-Zentrum (AGZ) Harz, die das Projekt mitgegründet hat. »Die Schülerrichter fragen einen Jungen, der eine Mutprobe unter Freunden gemacht hat, schon mal, was ihm Freundschaft bedeute«, sagte sie. Dann beraten die Schülerrichter über passende Sanktionen - das Wort »Strafe« wird von ihnen nicht verwendet. Das kann eine Entschuldigung sein, das Verfassen eines Aufsatzes oder gemeinnützige Arbeit. »Ein musikalischer Jugendlicher hat auch schon mal einen Song komponiert und fünf Täter aus einem Gymnasium haben einen Film über ihre Tat gedreht«, so Zinke. Wenn der Beschuldigte die Sanktion innerhalb von vier Wochen erfüllt, stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein.

Vor Gleichaltrigen können sich viele Beschuldigte offener mit ihrer Tat auseinandersetzen als vor dem Richter in Robe», lobte Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) das Projekt. Jugendstrafrechtler Klaus Breymann sieht das anders: «Gleichaltrigkeit allein ist kein Kriterium», sagte er. Entscheidend sei die Schicksalsgleichheit. Es nütze nichts, wenn eine Gymnasiastin, die von ihren Eltern Reitunterricht bezahlt bekommt, einem Sekundarschüler, dessen Mutter alkoholkrank ist, Sanktionen auferlege. Das verfestige das soziale Gefälle möglicherweise eher. «Alle begehen im Jugendalter mal kleinkriminelle Delikte.» Wenn diese Rolle des Kleinkriminellen dann breitgetreten werde, könne das sogar schädliche Folgen haben. «Ich bin darum dafür, die Schülergerichte abzuschaffen», so Breymann. Er verspreche sich mehr von einem eindringlichen Ermahnungsgespräch zwischen Täter und Staatsanwalt.

Wie hoch die Zahl der Harzer Beschuldigten ist, die nach einer Verhandlung wieder straffällig geworden sind, konnte Zinke nicht sagen. «Das wollen wir zum zehnjährigen Jubiläum im Oktober auswerten. Die Rückmeldungen von Eltern und Tätern sei aber durchweg positiv. Auch die Schülerrichter profitierten. Sie kämen aus allen Schulformen. Um Richter zu werden, müsse ein Schüler die Idee des Projekts verstehen und eine gewisse Empathie haben. Sechs Monate werden die Anwärter in Seminaren ausgebildet.

Die Fälle, die vor dem Schülergericht beraten werden, müssen bestimmte Kriterien erfüllen: Der Beschuldigte muss Ersttäter und geständig sein. Zudem müssen er und seine Eltern einverstanden sein. Ähnliche Projekte gibt es auch in einzelnen Landkreisen anderer Bundesländer. dpa/nd

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