Nun auch die Reichsbürger
Verfassungsschutzbericht 2016 wendet sich erstmals den rechten Staatsverleugnern zu
Es wirkte wie eine Illustration der nüchternen Zahlen des Bundesinnenministers, als am Dienstag ein sogenannter Reichsbürger in Bayern nebst seiner Frau gegen die Polizisten vorging, die gekommen waren, um einen Haftbefehl zu vollziehen. Die beiden folgten wohl der gängigen Ansicht der »Reichsbürger«, damit die Annexion durch eine fremde Macht zu verhindern. Die Verteidigung misslang, aber zwei Polizisten seien leicht verletzt worden, hieß es. Der 53-Jährige aus dem Landkreis Landshut habe weder die Autorität der Beamten noch den Haftbefehl anerkannt und auf einen der Beamten eingeschlagen. Seine 55 Jahre alte Lebensgefährtin trat offenbar zur gleichen Zeit auf eine Polizistin ein. Der Mann kam nach einer Behandlung im Krankenhaus ins Gefängnis.
Zum ersten Mal ist den »Reichsbürgern« im Verfassungsschutzbericht 2016, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde, ein eigenes Kapitel gewidmet. In ihm ist ihre Zahl mit 10 000 angegeben. Nur ein geringer Teil der Szene sei dem Rechtsextremismus zuzuordnen, heißt es. Gleichwohl bilde sie in ihrer Gesamtheit eine staatsfeindliche Bewegung, »deren Gefährdungspotenzial sichtlich gestiegen ist«. Zur Szene der »Reichsbürger« und »Selbstverwalter« zählten nur 500 bis 600 Rechtsextremisten. Da es sich bei den »Reichsbürgern« und »Selbstverwaltern« um ein neues Phänomen handele, sei die »bundesweite Erhebung des Personenpotenzials noch nicht belastbar abgeschlossen«. Reichsbürger sprechen davon, das Deutsche Reich bestehe fort und bestreiten deshalb die Legitimität des Grundgesetzes, von Behörden und Gerichten.
23 100 Anhänger der rechtsextremen Szene machten die Behörden im letzten Jahr aus. Mehr als die Hälfte (12 100) sei gewaltorientiert. Dies sei »besonders besorgniserregend«, sagte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen am Dienstag in Berlin. Es ist laut dem Bericht der höchste Stand, seit diese Zahl erfasst wird. Auch die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten stieg weiter an: von 1408 auf 1600 Delikte. 2014 waren 990 Taten gezählt worden. Neben der »Anti-Asyl-Agitation« sei Islamfeindlichkeit ein wesentliches Agitationsfeld von Rechtsextremisten. »Um ihre Widerstands- und Umsturzphantasien zu befeuern«, versuchten Rechtsextremisten kontinuierlich, Ereignisse mit der Religion des Islam in Verbindung zu bringen.
Eine Abschwächung der Gefährdungslage durch Islamismus gebe es gleichwohl nicht, führt der Bericht aus, dessen Potenzial mit 24 400 Personen angegeben wird. Durch die Verschiebung hin zum gewaltorientierten/terroristischen Spektrum sei sogar »eine neue Qualität der islamistischen Szene erkennbar, wie auch die 2016 in Deutschland durchgeführten Anschläge offenbart haben«.
Bei der Vorstellung des Berichts in Berlin ging Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) auf die Erkenntnisse zu Cyberangriffen aus dem Ausland auf deutsche Institutionen und Wirtschaftseinrichtungen ein. Die Regierung stelle sich darauf ein, das es entsprechende Versuche auch bei der Bundestagswahl im September geben könnte. Im Bericht ist die Rede davon, dass Russland, China und Iran Hauptakteure der gegen Deutschland gerichteten Spionageaktivitäten seien. Darüber hinaus spielten weitere - auch westliche - Staaten eine zunehmende Rolle.
Beim Cyberangriff auf den Bundestag 2015 habe es eine weitreichende Abschöpfung von Inhalten gegeben, »aber davon ist noch nichts veröffentlicht worden«, sagte der Minister. »Es kann sein, und innerlich rechne ich damit, dass das in den nächsten Wochen teilweise veröffentlicht wird.« Zum Teil gehe es bei solchen Angriffen um klassische Desinformationskampagnen, bei denen versucht werde, »mit Lüge und Halbwahrheiten« die Meinungsbildung zu beeinflussen.
Der beschränkte Blick in Richtung Osten überzeugt André Hahn (LINKE), Stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, allerdings nicht. Im NSA/BND-Untersuchungsausschuss habe sich »mehr als deutlich gezeigt, dass die NSA und andere westliche Geheimdienste im großen Stil Wirtschaftsspionage betreiben«. Hahn fällt ein vernichtendes Urteil: »Der Verfassungsschutz verharrt nach wie vor in den Denkmustern des Kalten Krieges, ist bei der Terrorabwehr überfordert und bei der Spionageabwehr mindestens auf einem Auge blind.« Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz vermisste konkrete Beweise über die Herkunft von Spionageangriffen in dem Bericht. Mit Agenturen
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