Nach dem Straßen- kommt der Deutungskampf

Konservative fordern drastisches Vorgehen »gegen Links«, doch reißt auch die Kritik an Polizeiübergriffen nicht ab

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.

Auf die Eskalation der Hamburger Gipfelproteste folgen erwartbare Wortmeldungen: So ließ sich etwa Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) von »Bild« die Forderung nach einem »Rock gegen Links« in den Mund legen. Diese Idee ist nun erst einmal in der Welt - und für die Rolle des Headliners liegt bereits eine öffentliche Bewerbung vor: Die Rockband »Frei Wild«, viel kritisiert für das volkstümelnde Pathos ihrer Texte, philosophiert auf ihrer Facebook-Seite über »gestörte Gestalten« sowie »kranke Gedanken« und fordert u.a. die »Toten Hosen« zu einer Distanzierung von den Krawallen im Schanzenviertel auf.

Die Konzertidee des Ministers entwickelte sich am Montag eher zum Internetgag, als auf ernsthafte Resonanz zu stoßen: »Rock gegen Links« heißt schließlich ein Titel der Neonaziband »Landser«. Ernster zu nehmen sind Forderungen, nun bundesweit gegen linke Zentren vorzugehen. Dabei wird neben dem Veranstaltungshaus »Rote Flora« in Hamburg - das sich von den Krawallen im umliegenden Schanzenviertel distanziert hatte - auch jenes Hausprojekt in der Rigaer Straße in Berlin genannt, um das immer wieder massive Auseinandersetzungen stattfinden. In diese Richtung äußerten sich unter anderem die Unions-Bundestagspolitiker Stephan Mayer und Armin Schuster, CDU-General Peter Tauber sowie FDP-Chef Christian Lindner.

Neu in der Diskussion ist nun eine europäische Datenbank für »Linksextreme«. Diese von verschiedenen Politikern aus Union wie SPD vorgebrachte Forderung machte sich auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zueigen. Er halte eine solche Datei grundsätzlich für sinnvoll. Man müsse sich allerdings auf übereinstimmende Kriterien zur Aufnahme von Personen in dieselbe einigen. De Maizière verbat sich Kritik am Vorgehen der Polizei.

Dieselbe wollte aber auch am Montag nicht verstummen - auch nicht unter dem Einfluss teils geradezu apokalyptisch anmutender Bilder von nächtlichen Krawallen und Plünderungen. Bemerkenswert ist eine Stellungnahme aus der Berliner Polizei. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert zwar gleichfalls ein »Bündnis gegen Linksextremismus« - ihr Berliner Vorstand Stephan Kelm übte gegenüber der dpa aber auch vernichtende Kritik am Hamburger Einsatzkonzept: Es habe »kaum Ruhezeiten« für die eingesetzten Beamten gegeben, »schlechte Kommunikation« und »konfuse Planung« seien auch nicht hilfreich gewesen.

Neben den Klagen über die Randale häufen sich im Nachhinein auch Berichte über polizeiliche Übergriffe während der Gipfeltage, nicht zuletzt gegenüber Journalisten. So berichtete der Deutsche Journalisten Verband (DJV) von Pfeffersprayattacken und Schlagstockeinsätzen gegenüber Medienvertretern. Presseausweise seien ignoriert, Journalisten zum Teil wüst beschimpft worden. »Wie erklären Sie dieses Vorgehen gegen Journalisten?«, heißt es in einem offenen Brief des Verbandes: »Wurden die Polizisten von den Einsatzleitern auf die besondere Rolle der Medien hingewiesen?«

Unter den zahlreichen Augenzeugenberichten im Internet einen allgemeingültigen Tenor ausmachen zu wollen, ist schlechterdings unmöglich: Was wen etwa über soziale Medien erreicht, ist stets abhängig vom eigenen Bekanntenkreis. Es gibt aber nicht wenige Anwohner, in deren Berichte sich unter die Wut über die Randale ein Entsetzen über das Agieren der Sicherheitskräfte mischt. In diesen Zeugnissen ist häufig von offensichtlich emotionalisierten Beamten die Rede, die mehr oder minder wahllos und teils im Vorbeirennen »ausgeteilt« und dabei zuweilen erhebliche Verletzungen auch bei Unbeteiligten verursacht hätten.

Die politischen Forderungen, die nun von konservativer Seite erhoben werden, sind also auch Elemente eines Deutungskampfs, der nicht entschieden ist - auch nicht im Tenor der Medienkommentare. »Hamburg« ist unabhängig von den Geschehnissen ein Topos im politischen Spiel geworden. Während etwa der Hamburger Sozialdemokrat Johannes Kahrs der Linkspartei eine »Relativierung« der Gewalt vorhält, hat dieselbe im Schweriner Landtag ihrerseits eine Aktuelle Stunde beantragt: Die rot-schwarze Regierung solle über etwaige Randalierer aus Mecklenburg-Vorpommern berichten.

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