Die Gemütslagen des Clowns

Die Ausstellung »Zirkuszauber« im Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus weiß zu verblüffen

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Malerisch liegt das Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus mitten in einem Park neben einer riesigen Fontäne. Nur die Außenhaut mit ihrem in die Vertikale strebenden Backsteinmantel erinnert an ähnlich imposante Industriebauten aus den 1920ern. Drinnen, in den hohen weißen Sälen, kommt man aus dem Staunen kaum mehr heraus.

Auf zwei Etagen vereint die Ausstellung »Zirkuszauber« mehr als 150 Werke von über 90 Künstlern aus fast 200 Jahren. Einzelne Exponate freilich haben bereits Kultcharakter, doch in dieser Gesamtschau dürfte singulär sein, was Kurator Jörg Sperling aufbietet. Zurückgreifen kann er dabei auf Leihgaben aus einer rund 900 Stücke zählenden privaten Sammlung, ergänzt durch Bestände aus dem eigenen Museum. In den vier Abteilungen »Artisten, Akrobaten und andere in der Arena«, »Auftritt von Clown und Co.«, »Dompteure & Zirkustiere« sowie »Die Welt des Zirkus/Zirkus in der Welt« nähert sich die Ausstellung ihrem Thema an. Und das ist in seiner Genrevielheit ein Phänomen. Ebenso vielfarbig in den künstlerischen Handschriften erweist sich die Schau.

Schon am Eingang ein Klassiker: Josef Hegenbarths Tusche einer Pferdedressur, mit zentral bäumendem Rappen, einer Tänzerin am Ring und dem skizzenhaft umsitzenden Publikum. Max Schwimmer lässt seine Zirkusreiterin über dem galoppierenden Pferd fast fliegen. Und Bernard Buffet verleiht auf einer Farblitho dem Prinzipal vor gelbem Grund unwidersprechbar würdige Gestalt. Weich fließend umreißt Luise Neupert per Scherenschnitt von 1993 einen Clown. Zwei Maler sind fasziniert von der gesamten Atmosphäre der Manege: Aus Tupfern und pastosen Strichen fügt Manfred Böttcher apportierende Raubtiere; Harald Metzkes hält das Wagnis Seiltanz mit Rückenbeuge in seiner Spannung fest. Statisch und ganz anstrengungsfrei wirken auf Herbert Kitzels Hochformat von 1952 die beiden nackten Akrobaten. Ob Metzkes’ Ölbild »Auf dem Schlappseil« von 1992 auch politisch deutbar ist, bleibt offen: Hoch über einer staunenden Menge balanciert ein junger Artist vor blauem Äther direkt auf den Betrachter zu, hinein in die Verheißungen einer neuen Zeit, und streut dabei Blumen.

Unbefangener vom Zeitgeschehen und nicht ohne Witz montiert Hans Ticha aus klaren Farbflächen seinen Gaukler mit Pferd und jonglierende Clowns. Eher in Richtung Karikatur geht Felicien Rops in seiner Aquatinta »Die Probe« von 1880: Derweil sie kopfunter auf einer Lupe balanciert, einen Fuß absichernd in einem Ring, raucht er süffisant. Voller Lebenslust und in wunderbarer Farbigkeit kennt man Marc Chagalls Liebeserklärung an den Zirkus, hier seine Kunstreiterin von 1965. Mit Blättern aus der Mappe »Jazz« von 1947 ist Henri Matisse vertreten, mit einem bräsig sitzenden Clown Georges Rouault, Fernand Léger mit einer derart gedrängt agierenden Zirkuskapelle auf einer Farblitho von 1945, dass man die Schmettermusik fast zu hören meint.

Ernst Ludwig Kirchner haben 1922 fliegende Menschen zu einem Holzschnitt angeregt, der mit seinen Bögen gotisch anmutet. Bei Otto Mueller, auch er einer der führenden Expressionisten, berührt die Lithografie eines Clowns mit zarter Artistin aus dem Jahr 1925. Auf Max Beckmanns Kaltnadelradierung von 1921 wagt sich ein Artist mit verhülltem Kopf aufs Seil, Beckmanns schroffkantiger Pierrot mit Maske entbehrt nicht der Groteske. Auch viele weitere Künstler schildern nicht nur ab, sondern nutzen das Metier zu gleichnishafter Darstellung. Francisco Goyas politisch motivierte Radierung »Präzise Torheit« von 1815 zeigt Pferd und Tänzerin gemeinsam auf dem Schlappseil, das drohend dunkel angedeutete Publikum erwartet ein Unglück. Dagmar Zemkes Linolschnitt »Zähmung der Bestie« von 2010, und damit jüngstes Exponat, sieht in der Bestie den Menschen. Auf HAP Grieshabers pastellenem Farbholzschnitt von 1966 wird der Narr vom Tod flankiert, denn alle sind wir Narren. Arminius Hasemann, nur wenig bekannt, besticht mit sechs Holzschnitten seines bisweilen noch jugendstilhaft bewegten Zyklus’ »Circus« von 1920, so einer nackten Reiterin, hinter deren Sturz schon der Tod lauert.

Tiefe in der Fläche erzeugt großartig Hans Grundig auf einer Radierung von 1924, auf der die Rivel-Clowns wie auf einem Fließband stehen. Der Clown - er scheint das Lieblingsthema vieler Künstler. Auf Wilhelm Lachnits Aquarell von 1958 wirkt er nachdenklich; Erich Heckel schneidet ihn 1929 jung und ernst in Holz; Hugo Schreiber aus Ungarn malt ihn gar traurig, bei seinem romanisierten Landsmann Victor Vasarely, Vertreter der Op-Art, wölbt er sich auf einem ausgebeulten Gitternetz. Wilhelm Höpfners Radierung von 1923 schließlich lässt rätseln, ob das Kreuz über zwei Tauben neben dem Clown den heiligen Geist zitiert. Humorig dick und klein empfindet Albert Ebert seine Clowns, bei Conrad Felixmüller stehen sie fröhlich auf ihrer Spitztüte im Kopfstand auf dem Schlappseil. Freude an der Farbe und der Komposition dominieren diesen Holzschnitt von 1925. Mit Hertha Günthers Farblitho einer Zirkusreiterin von 1977 endet der Rundgang sogar ausgesprochen elegant.

»Zirkuszauber«, bis zum 20. August im Kunstmuseum Dieselkraftwerk, Am Amtsteich 15, Cottbus

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