»Ich finanziere alles selbst«

Nach Olympiapleiten und Leistungssportreform bleibt für die Synchronschwimmerinnen kaum noch Geld übrig

  • Andreas Morbach
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor zwei Jahren in Kasan waren Sie noch die einzige deutsche Synchronschwimmerin. Jetzt hat der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) bei der WM in Budapest zwölf Frauen und einen Mann am Start. Was ist inzwischen passiert?
Wir haben super guten Nachwuchs bekommen - der jetzt auch reif ist, zu einer WM zu fahren. 2015 war die Mannschaft einfach noch nicht auf dem Stand, dass es sich gelohnt hätte, ein Team nach Kazan zu schicken.

Sie selbst sind vor elf Jahren erstmals in einen Nachwuchskader berufen worden. Wie hat sich das Synchronschwimmen in Deutschland seitdem entwickelt?
Ich denke es ist relativ gleich geblieben. Es wäre bestimmt mehr Steigerungspotenzial drin gewesen: in der eigenen Organisation und wie weit man sich an der Herangehensweise anderer Nationen orientiert.

Zur Person

Marlene Bojer (l.) ist deutsche Meisterin im Synchronschwimmen und führt ab diesem Freitag bei der WM in Budapest das DSV-Team an. Im Interview mit Andreas Morbach spricht die 24-Jährige über die Vorteile anderer Nationen, die problematische Finanzierung ihres Lebens als Leistungssportlerin und über die Zukunft ihrer Sparte in Deutschland. 

Was machen andere Nationen im Synchronschwimmen denn besser als der DSV?
Ein wichtiger Faktor ist, dass wir nicht zusammen trainieren. Wir sind eine Teamsportart, müssen uns ständig einander angleichen. Wenn wir uns dann im Schnitt nur alle sechs Wochen in Heidelberg treffen und danach wieder zurück in die Vereine gehen, haben wir natürlich einen Riesennachteil gegenüber denen, die jeden Tag zusammen trainieren.

Gibt es noch weitere Punkte, in denen der DSV hinterherhinkt?
Es müsste alles besser organisiert werden. Aber das gibt die ganze Struktur momentan einfach nicht her. Es ist nicht so, dass der DSV das nicht möchte. Es gibt einfach keine Ressourcen, deswegen gestaltet sich das alles momentan sehr schwierig.

Wegen der schlechten Ergebnisse bei den letzten beiden Olympischen Spielen muss der DSV ab 2019 mit 25 Prozent weniger Geld planen. Wie bekommen Sie das persönlich zu spüren?
Bei uns wird es echt etwas spärlich. Schon in diesem Jahr mussten wir einen großen Betrag selbst zahlen, um zu Wettkämpfen fahren zu können.

Wie viel mussten Sie aus eigener Tasche beisteuern?
Jeder von uns 1000 Euro. Das ist natürlich nicht okay. Manche Landesverbände übernehmen den Betrag, bei uns in Bayern kommt ein großer Teil aus privater Tasche. Theoretisch würden wir als Kadersportler noch Geld von der Sporthilfe bekommen. Aber in diesem Jahr gibt es statt bislang neun nur noch drei Sporthilfeplätze für Synchronschwimmerinnen. Das Geld, das 2016 noch regelmäßig kam, fehlt seit Januar. Und bist du dann nicht unter den drei, die das Geld bekommen, ist man auch am Arsch.

Wie regeln Sie das? Immerhin sind Sie die amtierende deutsche Meisterin im Solo, dem Duett und in der Kombination?
Ich hatte im letzten Jahr ein Praxissemester eingelegt, in dem ich ein bisschen was dazu verdient habe. Dieses Geld »verbrate« ich jetzt. Ich habe also einen Puffer, ansonsten wären Mama und Papa dran. Ich bin jetzt 24 und möchte nicht immer zu meinen Eltern rennen. Ich finanziere ansonsten alles selbst - und da denkt man sich schon: Eigentlich müsste ich jetzt arbeiten gehen. Aber zeitlich gibt’s da gar keine Chance, weil entweder Training oder die Uni ansteht.

Wie viel Geld haben Sie momentan zur Verfügung?
Aktuell habe ich null Euro. Im letzten Jahr hatte ich 200 Euro Sporthilfe - plus, daran gekoppelt, 400 Euro aus einem Stipendium.

Wie motivieren Sie sich da noch?
Die Motivation leidet schon ein bisschen. Aber meine Duett-Partnerin Daniela Reinhardt und ich haben Olympia 2020 als klares Ziel. Wir haben uns auch schon überlegt, wie wir Geld auftreiben können. Vielleicht gehen wir in Richtung Crowdfunding, um dort unser Projekt zu starten, mit dem wir dann zum Beispiel unsere Trainingslager bezahlen.

Unternehmerinnen in eigener Sache also?
Uns bleibt nichts anderes übrig. Für ein ganzes Team wird es nicht reichen, also werden wir selbst aktiv.

Angesichts der aktuellen Situation des DSV: Was wird mit dem Synchronschwimmen in Deutschland über kurz oder lang passieren?
Puh. Einige werden bestimmt noch bereit sein, für ein paar Wettkämpfe Geld zu investieren. Aber langfristig wird das Ganze wohl ausplätschern - weil man von niemandem mehr Unterstützung bekommt.

Also kann es sein, dass Ihre Sportart in Deutschland, was internationale Wettkämpfe angeht, bald komplett von der Bildfläche verschwunden sein?
Das kann passieren.

Haben Sie die Hoffnung, dass sich die Situation noch grundlegend verändert?
Ich kann zu schlecht einschätzen, in welche Richtung der DSV im Synchronschwimmen tatsächlich gehen will. Und inwieweit die Verantwortlichen bereit sind, sich zu ändern. Denn so, wie es gerade ist, funktioniert es ja nicht.

Ihr großes Ziel sind die Spiele in Tokio. Glauben Sie, dass Sie vorher schon so zermürbt sein könnten, dass Sie das Ganze sein lassen?
Nö (lacht). Das lass’ ich nicht sein. Ohne dieses Ziel - das wäre einfach fad. Ich war schon auf zwei Weltmeisterschaften, jetzt kommt meine dritte. Da gibt es nur noch das absolute Highlight Olympia. Ich will einfach alles schaffen.

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