Winzlinge erobern Leipzigs tote Seen

Sachsen: Geflutete Tagebaulöcher sind oft so sauer, dass Leben darin für Jahre unmöglich ist - doch es gibt Hoffnung

  • Violetta Kuhn, Leipzig
  • Lesedauer: 4 Min.

Recht nackte Ufer, trübes Wasser und am Horizont schickt ein Braunkohlekraftwerk Dampfwolken gen Himmel - für Unwissende mag dieser See wenig verlockend aussehen. Für Robert Lange ist er etwas ganz Besonderes. Er beobachtet, wie sich hier Leben ansiedelt. »Die Chance hat man nur einmal im Leben, so etwas live zu sehen«, sagt der Mann mit den kurz geschorenen Haaren.

Lange ist Tauchlehrer am Zwenkauer See, im Süden der sächsischen Messestadt Leipzig. Sein Revier ist noch jung. Früher wurde hier Braunkohle abgebaut, erst vor zehn Jahren begann die Flutung des Lochs. Jetzt ist erstes Leben darin sichtbar geworden. Und es entwickelt sich: Gerade mal eine Handvoll Stichlinge habe sich im vergangenen Jahr im Einstiegsbereich zum Tauchrevier herumgetrieben. Heute seien dort schon 20 bis 30 Fische unterwegs, sagt Lange. Auch Pflanzen breiteten sich aus.

Doch wie kommt das Leben überhaupt in einen vermeintlich so isolierten Lebensraum wie einen See? Bei normalen Seen gehe das recht schnell, sagt Brigitte Nixdorf, die an der Brandenburgischen Technischen Universität unter anderem zu Tagebauseen forscht. Wasservögel brächten in ihrem Gefieder und an ihren Füßen Fisch- und Insekteneier, erklärt sie. Der Wind blase Sporen und Samen in den See. Überflutungen schwemmten Leben ein: Fische, Krebschen und Larven. Und schließlich sei da noch der Mensch, der etwa Fische aussetzt.

Tagebauseen wie der Zwenkauer See machen es dem Leben allerdings schwerer. Sie sind oft sehr sauer und ähneln von der Chemie her eher Vulkanseen als gewöhnlichen Weichwasserseen. Mehr als 500 solcher Seen gibt es in Deutschland einem Bericht des Umweltbundesamts zufolge. Viele davon liegen in der Lausitz und im rheinischen Braunkohlerevier.

Die Säure entsteht durch das Graben nach Kohle und das Absenken des Grundwasserspiegels. »Dabei werden Erdschichten belüftet, die zuvor Jahrtausende lang abgeschottet waren«, erklärt Jörg Gelbrecht, Chemiker am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. Dadurch wird eingelagertes Pyrit - besser bekannt als Katzengold - unter anderem zu Schwefelsäure umgewandelt. Und die fließt später etwa mit dem Grundwasser in den See, wo sie - je nach Konzentration - die Ansiedelung von höherem Leben erschwert bis unmöglich macht.

Auch der Zwenkauer See war zu Beginn sehr sauer. Tausende Tonnen Kalk, die ins Wasser gegeben wurden, haben seinen pH-Wert mittlerweile normalisiert. Doch immer wieder kann Säure aus dem Boden nachströmen, wie die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbauverwaltungsgesellschaft (LMBV) erklärt, die in der Region für die Sanierung von stillgelegten Tagebauen verantwortlich ist. Bis diese Gefahr gebannt sei, dauere es mindestens Jahrzehnte, sagt Jörg Gelbrecht. Baden kann man trotzdem problemlos in Gewässern wie dem Zwenkauer See. Leicht saures Wasser schade dem Menschen in der Regel nicht, sagt der Chemiker.

Tiere, die auf Dauer darin überleben müssen, sind da anspruchsvoller. Fische bräuchten einen pH-Wert von mindestens 5,5, um sich fortpflanzen zu können, erklärt Brigitte Nixdorf. Muscheln, Krebsen und Schnecken setze Säure besonders zu - sie löse ihre Schalen und Panzer auf. Säuren mit großer Härte seien etwas, was nur wenige Arten vertrügen.

Und gleich doppelt schwer hätten es Pflanzen, erklärt Nixdorf. Denn Nährstoffe wie Phosphor werden im sauren Wasser gebunden und sind für die Pflanzen nicht verfügbar. Zudem gebe es darin wenig anorganischen Kohlenstoff, den die Pflanzen für die Photosynthese brauchen.

»Tot ist aber eigentlich fast gar kein Gewässer«, betont Nixdorf. Das Leben erobere auch saure Seen. »Bakterien sind fast immer drin.« Manche Pilze kämen ebenfalls mit saurem Wasser klar. Ihnen folge pflanzliches Plankton. Später siedelten sich größere Wasserpflanzen und Kleinsttiere wie Wasserflöhe oder Rädertierchen an. Noch später folgten bestimmte Insektenlarven, die schließlich die Nahrungsgrundlage für Fische bildeten - wenn das der Säuregehalt erlaubt. Die Vielfalt in sauren Seen sei aber sehr gering, sagt Nixdorf. Und es gebe sehr verkürzte Nahrungsketten.

Dieser Befund trifft wohl bislang auch auf den Zwenkauer See zu. Nur wenige Geiseltierchen, Rädertierchen und einzellige Algen leben nach Angaben der LMBV dort. Von Fischen wisse man gar nichts, heißt es. Der See werde wohl auch langfristig nährstoffarm bleiben und immer wieder mit neuer Versauerung zu kämpfen haben. Für Tiere und Pflanzen dürfte er noch lange ein eher unwirtlicher Lebensraum sein.

Robert Lange hat für sein Unterwasser-Revier aber Hoffnung. Bei einem seiner Tauchgänge habe er Stichling-Männchen beobachtet, die ihren Laich bewachten, erzählt er. »Es wird.« dpa/nd

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