Immer mehr Klagen gegen falsche Asylbescheide

Verwaltungsgerichte müssen Fehlentscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ausbügeln

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.

Deutsche Verwaltungsrichter schlagen Alarm: Rund 250.000 Klagen von abgelehnten Asylbewerbern sind derzeit vor deutschen Verwaltungsgerichten anhängig. Jeder vierte Asylbescheid wird damit vor Gericht angefochten. Die Richter kommen mit der Bearbeitung der Fälle kaum hinterher. In Berlin hat sich die Zahl der Klagen in den vergangenen Jahren versechsfacht, sagt Sebastian Brux, Sprecher der Senatsverwaltung für Justiz, dem »nd«. Wurden 2015 insgesamt 1400 Klagen gegen negative Asylbescheide eingereicht, waren es 2016 schon 8100. »Auch in diesem Jahr werden die Verfahrenszahlen weiter steigen. Es sind bereits im ersten Quartal 5000 Eingänge zu verzeichnen. Hinzu kommen insgesamt 7200 unerledigte Verfahren aus den Vorjahren«, so Brux.

Grund für die vielen Klagen in Berlin ist, dass das Auswärtige Amt in der Hauptstadt seinen Sitz hat. Klagen gegen nicht gewährten Familiennachzug bei Asylberechtigten müssen grundsätzlich vor Berliner Verwaltungsgerichten eingereicht werden, egal in welchem Bundesland der Kläger wohnt.
Bereits im Koalitionsvertrag hatte Rot-Rot-Grün vereinbart, die Verwaltungsgerichte zu entlasten und personell aufzustocken. Zwanzig zusätzliche Richterstellen wurden nach Angaben der Justizverwaltung bereits gewährt. 2018 sollen 24 weitere Stellen hinzukommen, davon 16 Richterstellen und acht Stellen für die Geschäftsstelle. Sprecher Brux: »Insgesamt schaffen wir mit dem Doppelhaushalt 243 zusätzliche Stellen, was die größte personelle Verstärkung der Berliner Justiz seit 25 Jahren ist. Das ist ein starkes Signal für den Rechtsstaat, eine effektive Demokratie und damit für die Gerechtigkeit. «

Dennoch ist die Situation misslich, und das nicht nur für Richter, auch für Asylsuchende selbst und für auf Asylrecht spezialisierte Anwälte. Tewelde T. aus Eritrea beispielsweise hatte im Januar gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geklagt, das ihm nur einen sogenannten subsidiären Schutzstatus zugesprochen hatte. Mit diesem kann er seine Frau und seine Kinder nicht nachholen. Sie leben in Äthiopien – unter widrigen Verhältnissen. Zweimal schon hatte das Berliner Verwaltungsgericht eine Verhandlung für ihn anberaumt und beide Male wenige Tage vor dem Termin auf unbestimmte Zeit verschoben. Auch der Afghane Mohammad H. leidet unter der langen Wartezeit bei Gericht. Das BAMF hatte seinen Asylantrag im März abgelehnt, H. klagte dagegen. »Mein Anwalt macht mir große Hoffnungen, dass wir die Klage gewinnen.« Solange aber die Entscheidung aussteht, darf er weder weiter Deutsch lernen noch eine Ausbildung beginnen. H. möchte Bus- oder Bahnfahrer werden. Berlin sucht händeringend Nachwuchs für diese Berufe.

Matthias Lehnert ist Anwalt und Spezialist für Aufenthaltsrecht. »Die Entscheidungspraxis beim Bundesamt müsste sich ändern, wenn die Zahl der Klagen zurückgehen soll«, sagt er. »Meine Mandanten und ich klagen ja nicht aus Spaß, sondern weil es so viele falsche Ablehnungen von Asylanträgen gibt. Würde das Bundesamt besser arbeiten, wären die Verwaltungsgerichte weniger überlastet.« Diese Meinung vertritt auch Claus Foerster, der beim Sozialträger Arbeiterwohlfahrt Flüchtlinge zum Asylverfahren berät. »Beispielsweise möchte das Bundesamt Flüchtlinge nach Ungarn zurückschicken, wenn sie über Ungarn nach Deutschland gereist sind. Das Berliner Verwaltungsgericht stoppt solche Entscheidungen grundsätzlich, weil in Ungarn die Bedingungen für Asylverfahren nicht stimmen«, sagt er. Seine Forderung: Das Bundesamt sollte solche Rückführungen gar nicht erst anordnen, dann müssten sich Betroffene, Anwälte und Richter auch nicht damit befassen.

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