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DIW plädiert für Senkung der Mehrwertsteuer

Ökonom Fratzscher: So können untere und mittlere Einkommen steuerlich wirklich wirksam entlastet werden

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Im Wahlkampf wird gern über Steuerentlastungen gesprochen – aber wem würde welche Maßnahme eigentlich helfen? Und wer hätte Entlastung wirklich nötig? Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat jetzt die Senkung der Mehrwertsteuer in die Diskussion geworfen: »Will man die Mehrheit der Bevölkerung mit den unteren und mittleren Einkommen steuerlich wirksam entlasten, ist eine Mehrwertsteuersenkung eine mögliche und zielgenauere Alternative«, sagt der Chef des Instituts, der Ökonom Marcel Fratzscher. »Die unteren 20 bis 30 Prozent, die keine oder kaum eine Einkommensteuer zahlen, haben weder etwas von Einkommensteuersenkungen noch von der Abschaffung des ›Soli‹.«

Eine Senkung des Mehrwertsteuer-Regelsatzes um einen Prozentpunkt auf 18 Prozent würde die Verbraucher um rund elf Milliarden Euro entlasten. Würde der ermäßigte Mehrwertsteuersatz nur für Nahrungsmittel und den Nahverkehr um zwei Punkte auf 5 Prozent gesenkt, könnten Privathaushalte laut dem Institut mit 3,8 Milliarden Euro profitieren. Insgesamt ergäben sich Entlastungen von jährlich knapp 15 Milliarden Euro. Voraussetzung sei, dass Hersteller die niedrigere Steuerlast an die Kunden weitergeben. Würden übrige Ermäßigungen abgeschafft, könnten die Mindereinnahmen des Staates auf 7,4 Milliarden Euro halbiert werden.

Am kommenden Mittwoch will das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung genauere Zahlen dazu vorlegen. »Eigentlich ist eine Mehrwertsteuersenkung die Maßnahme, die allen Menschen hilft«, sagt Fratzscher. Denn Geringverdiener wendeten einen weit höheren Anteil ihres Einkommens für die Mehrwertsteuer auf als Menschen mit hohen Einkommen. Auch international wäre dies ein Signal. Mit einer Mehrwertsteuersenkung würden der Konsum angekurbelt sowie Importe verbilligt und damit der im Ausland kritisierte deutsche Handelsüberschuss abgebaut. »Letztlich wäre das eine effektive Aufwertung des Konsums und eine klare Botschaft an die europäischen Partner und die USA«, so der Ökonom.

Die unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze und die teils kaum noch nachvollziehbaren vielen Ausnahmen für Produkte und Dienstleistungen sorgen seit Jahren für Diskussionen. Nach einer Faustformel kostet die Senkung des Regelsteuersatzes um einen Prozentpunkt den Staat jährlich etwa 11,2 Milliarden Euro. Eine Reduzierung des ermäßigten Satzes um einen Punkt würde mit Mindereinnahmen von 2,6 Milliarden Euro in den Staatskassen zu Buche schlagen. Eine seit Jahren aus den ganz unterschiedlichsten Gründen und politischen Himmelsrichtungen angemahnte Reform scheuten Bundesregierungen bisher – eine Abschaffung von Privilegien würde bei den dadurch Begünstigten Proteste hervorrufen. Senkungen bei der Einkommensteuer sind zumindest schneller sichtbar auf dem Lohnzettel als geringere Mehrwertsteuern.

Die SPD will »besondere Privilegien für einzelne Interessengruppen« bei der Mehrwertsteuer zurücknehmen, heißt es in deren Wahlprogramm. Auch Linkspartei und Grüne sind für Korrekturen. Kritiker befürchten allerdings, dass sich Mehrwertsteuersenkungen am Ende nicht in niedrigeren Preisen niederschlagen. Fratzscher teilt diese Sorgen nicht. Die Abschaffung könnte schrittweise erfolgen. Mittelfristig würden Steuersenkungen an Konsumenten weitergegeben und Preise angepasst. Die Rechtsaußenpartei AfD fordert in ihrem Wahlprogramm die Senkung der allgemeinen Mehrwertsteuer um sieben Prozentpunkte.

Viele erinnern sich noch: Im Wahlkampf 2005 hatte die CDU unter Angela Merkel ein Steuersystem nach dem Motto »einfach, wettbewerbsfähig und gerecht« versprochen – doch dann einigte sie sich mit der SPD für eine Große Koalition schnell auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent. Das traf vor allem Bezieher kleinerer Einkommen. Die Sozialdemokraten hatten im Wahlkampf noch gegen die »Merkelsteuer« getönt und der dann scheidende Kanzler Gerhard Schröder hatte »eine Erhöhung für die gesamte nächste Legislaturperiode« ausgeschlossen. dpa/nd

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