Trümmerfeld Künstlerleben

Im Kino: »Final Portrait« von Stanley Tucci

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Zeiten, in denen Biopics ein ganzes Leben abzubilden und alle wichtigen Stationen gleichmäßig oberflächlich abzuhaken hatten, sind gottlob vorbei. Die neue, allgemeingültige Form der filmischen Biografie ist die Fokussierung auf eine kurze Zeitspanne, auf ein besonders prägendes Ereignis. So war das bei allen jüngeren Beispielen des Genres wie »Der junge Karl Marx«, »The Founder«, »Lincoln«, »Born to be Blue«, »Love and Mercy« und vielen anderen. Stanley Tuccis erste Regiearbeit »The Final Portrait« nutzt das gleiche Prinzip: Geschildert wird die Entstehung eines einzigen Porträts aus der Hand Alberto Giacomettis (Geoffrey Rush). Die Verengung des zeitlichen Rahmens hat dem boomenden Genre sicher gutgetan. Was sie dem Zuschauer nicht erspart, sind die nach wie vor klischeehaften Darstellungen der seelischen Abgründe großer Künstler. Eine solche zum Teil banale Künstler-Karikatur muss man auch in »The Final Portrait« erdulden, zum Glück wird sie aber vom vortrefflichen Geoffrey Rush sehr unterhaltsam ausgefüllt.

Als der junge Schriftsteller und Kunstliebhaber James Lord während einer Parisreise 1964 von seinem Freund Alberto Giacometti gefragt wird, ob er ihm für ein Porträt Modell sitzen würde, sagt er höchst geschmeichelt zu. Allerdings hat Lord keine Ahnung, worauf er sich da eingelassen hat: Aus den anberaumten Stunden werden Tage, werden Wochen, doch das Bild will nicht fertig werden, denn Giacometti lässt es nicht zu. Termine werden verschoben, weil der Meister gerade nicht in Stimmung ist oder lieber bei Rotwein im Bistro sitzt, als seiner Kunst nachzugehen - und weil er immer wieder große Bildteile übermalt oder in starken Stimmungsschwankungen das Werk sogar ganz grundsätzlich verwerfen will.

Tucci verneigt sich hier vor allem vor einem Egozentriker, der nicht bereit ist, den kleinsten Kompromiss mit seiner Umwelt einzugehen. Es mag sein, dass aus konsequentem Egoismus große Kunst entsteht, dass er vielleicht sogar deren Voraussetzung ist. Doch Tucci feiert nicht die Kunst, denn er versäumt die Gelegenheit, neben der Säufer- und Hurenbock-Mentalität Giacomettis dessen technische Virtuosität tatsächlich und von flacher Komik befreit zu beleuchten und zu erklären. Er feiert stattdessen einen schlecht gelaunten alten Sack, der im Chaos lebt und arbeitet, der ganz offen und verletzend seine Frau betrügt und von menschlicher Nähe nichts wissen will, außer zu einer jungen Prostituierten. Geoffrey Rush, man muss es noch einmal betonen, gibt dieses mit extrem tief hängenden Mundwinkeln durch das Trümmerfeld seines Ateliers und seines Lebens schlurfende Abziehbild eines Lebemannes und eines mit allen Fasern seinem Werk verschriebenen Künstlers sehr glaubhaft. Ein absolut blasser Stichwortgeber bleibt allerdings den ganzen Film über Armie Hammer als zu porträtierender James Lord.

Und viel zu kurz kommen, wie schon gesagt, Giacomettis Kunst, sein Schaffensprozess, seine Inspirationen, seine Seele.

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