Hinter der Fassade

Jörg-Uwe Albig verblüfft mit einer Novelle über die Liebe eines Mannes zu einem Gebäude

  • Mirco Drewes
  • Lesedauer: 4 Min.

Das kommt auch in Klagenfurt nicht alle Tage vor. Obwohl der Bachmann-Preiswettbewerb in diesem Jahr bereits in die einundvierzigste Ausgabe ging, ist es dort noch nicht allzu häufig vorgekommen, dass Lesungen derart hart kritisiert werden, wie es mit Jörg-Uwe Albigs Erzählung »Eine Liebe in der Steppe« Anfang Juli geschehen ist. Es kam zum offenen Disput innerhalb der Jury, nachdem Albigs Novelle als »Blendwerk« und »gewöhnungsbedürftig« abqualifiziert wurde.

Wenige Wochen nach der Kontroverse ist nun der vollständige Text in Buchform erschienen. Worum es geht, ist ebenso leicht erklärt, wie es aus psychologischer Sicht schwer nachzuvollziehen ist: Im Mittelpunkt steht ein Paläontologe, der sich in eine Kapelle verliebt. Gemeint ist die Liebe im maximal anspruchsvollen Verständnis des Wortes: eine Liebe, die romantisch und sehnsüchtig ist, eine Liebe, die ausschließen möchte.

Erzählt wird die Geschichte von Gregor Stenitz, der in einem Museum nahe Chemnitz als Paläontologe beschäftigt ist - und zunächst mit Judith liiert, einer Museumspädagogin am selben Haus. Anlässlich einer Exkursion in die Braunkohleabbaugebiete unweit von Cottbus verliert sich der Protagonist in den und an die anliegenden verwaisten Plattenbausiedlungen, die ihres endgültigen Rückbaus harren. Bei Wanderungen durch die sich nach der Entzivilisation der Region ausbreitenden Steppenlandschaften entdeckt Stenitz eine abgelegene Kapelle, die er zunächst fälschlicherweise für aufgegeben hält. In dieses Gebäude verliebt sich der Wissenschaftler, ein emotionaler Schneckenhausbewohner in seinen mittleren Jahren, dem prähistorische Präparate mehr sagen als das eigene Gefühlsleben.

Für seine Außenwelt hält Stenitz eine Weile die Fassade eines Menschen aufrecht, der im Leben steht und als illusionsloser Realist jeder Eskapade unverdächtig ist. Tatsächlich aber quartiert sich dieser unbewusste Sinnsucher, dieser nüchtern Somnambule, in einem annähernd leerstehenden Plattenbau ein und mäandert, von widerstreitenden Gefühlen beherrscht, um die Kapelle der Heiligen Magdalena herum, die er - Referenz an Marcel Proust - »Madeleine« nennt. Sehnsucht, mystisch inszenierte Vereinigungen und Abstoßung wechseln sich munter ab. Man mag über das Urteil »gewöhnungsbedürftig« für Albigs Prosastück streiten, auf eine Kapelle als Geliebte trifft es ganz gewiss zu.

Was der Berliner Autor hier vorgelegt hat, ist eine sehr eigenwillige Erzählung und zudem eine interessante Pointe auf die Form der Novelle. Die Singularität des Ereignisses, das Skandalöse dieser Liebe, geriert sich weniger als Wendepunkt der Geschichte, sondern vielmehr als narrativer Faden der Erzählung. Freilich ein Faden, der sich nicht entwickelt, sondern zunehmend aufgerollt und zum undurchdringlichen Knäuel verdichtet wird.

Während die Handlung sich verlangsamt und ihr Protagonist in unproduktiver Agonie verharrt, steigert sich die Sprache in einen Exzess der Exploration. In unzähligen Adjektiven und Vergleichen wird eine Annäherung an die Emotionalität des Bestrickten versucht. Diese gehorcht einer speziellen Poetik: Während das Ding humanisiert und erlebt wird in allen Farben und Temperaturen des Fleisches, werden die Seelenlandschaft des Menschen geschildert als naturgesetzliche Prozesse, wird die Verdinglichung des menschlichen Bewusstseins beschworen.

»Eine Liebe in der Steppe« ist stilistisch anspruchsvoll und erzählerisch gewagt. Allerdings mangelt es an einem narrativen Ziel. Die Erschütterung der normativen Wirklichkeit und der sich ergebende Konflikt bleiben auf die Privatheit der Figur beschränkt. Stenitz als verschrobener und emotional selbst für die Erzählinstanz unzugänglicher Charakter gibt kein Exempel ab. Auf der anderen Seite bleibt auch die Interpretation des Dingsymbols in Ansätzen stecken. Historisch-kritische Lesarten des evangelischen Sakralbaus auf Grundlage der politischen Widerständigkeit in der DDR bleiben bloß angedeutet, ebenso wie eine Poetik sozialistischer Architektur oder eine mögliche literarische Sozialstudie postindustrieller Schrumpfungszonen in der Ex-DDR.

Die Lektüre hinterlässt ein Gefühl melancholischer Irritation. Das ist nicht die schlechteste Wirkung - und gewiss nicht das Produkt eines »Blendwerks«. Doch »gewöhnungsbedürftig« ist es allemal.

Jörg-Uwe Albig: Eine Liebe in der Steppe. Novelle. Klett-Cotta, 175 S., geb., 20 €.

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