Flussauen wachsen nur im Schneckentempo

Im Lödderitzer Forst in Sachsen-Anhalt erhielt die Elbe viel Platz. Andernorts werden Deiche nur zögerlich verlegt

  • Hendrik Lasch, Diebzig
  • Lesedauer: 3 Min.

Der alte Deich ist weg. Auf 650 Metern zieht sich dort, wo im Lödderitzer Forst seit über 150 Jahren ein Erdwall das Land vor den Fluten der Elbe geschützt hatte, nur mehr eine Schneise durch den Auenwald. Bald wird sie zugewachsen sein - und, wenn der Pegel des Flusses stark ansteigt, von Wasser überströmt.

Im Lödderitzer Forst erhält die Elbe mehr Raum. Seit 2009 wurde dort ein 7,3 Kilometer langer neuer Deich gebaut - weiter vom Fluss entfernt. Seit nun der alte teilweise abgetragen wird, hat die Elbe 600 Hektar Überflutungsfläche gewonnen. Das vom Naturschutzverband WWF getragene, 33,9 Millionen Euro teure Projekt ist das größte seiner Art in Deutschland und mustergültige Umsetzung einer Einsicht, die nach den Hochwasserereignissen 2002 und 2013 zunehmend Akzeptanz fand: Häufigere und stärkere Fluten lassen sich nicht durch immer höhere Deiche zähmen; das Wasser braucht vielmehr Raum, um sich ausbreiten zu können. Die Wirksamkeit des Ansatzes wurde unfreiwillig durch Deichbrüche bewiesen, die flussabwärts die Flutscheitel sinken ließen.

Also wurde vielerorts gesucht, wo neue Rückhalteflächen bereitgestellt werden könnten. In Sachsen erwog man die Verlegung von Deichen an 49 Stellen; Flüsse wie Elbe, Mulde oder Flöha hätten sich auf 7500 Hektar zusätzlich ausbreiten können. Im Hochwasserschutzkonzept Sachsen-Anhalts sind 17 Projekte an Elbe, Mulde, Havel und Schwarzer Elster genannt - Gesamtfläche: 2725 Hektar vor.

Allerdings: Die praktische Umsetzung der Planungen erwies sich als ausgesprochen zähes Geschäft. Astrid Eichhorn, Projektmanagerin des WWF im Lödderitzer Forst, berichtet von mühsamen Verhandlungen mit Landwirten, die Flächen für den neuen Deich abtreten sollten, und Einwohnerversammlungen, in denen sie mit Engelszungen Bedenken zerstreuen musste - in jedem Dorf einzeln. Klagen zogen die Planungsverfahren in die Länge. »Interessenkonflikte«, heißt es im Konzept des Landes, seien bei solchen Vorhaben stets »gegeben«. Immerhin: 2018 ist die Deichverlegung im Lödderitzer Forst abgeschlossen - nach fast zwei Jahrzehnten Planung und Bau. Von den weiteren 16 Projekten, die das Landeskonzept nennt, wurden vier in der Zeit seit 2014 begonnen; für alle anderen wird als »voraussichtlicher Umsetzungbeginn« 2018 oder 2020 genannt.

In Sachsen sieht es nicht anders aus. Dort gibt es zwar Fortschritte etwa an der Zwickauer Mulde. Nachdem unweit von Crossen eine Halde beräumt wurde, auf der die Wismut einst Abfälle der Uranerz-Aufbereitung abkippte, hat der Fluss 22 Hektar gewonnen; der Abriss des zugehörigen Werksgeländes bringt weitere Rückhalteflächen. Förderlich für das Vorhaben dürfte gewesen sein, dass es sich um Flächen im Besitz des Bundes handelt und es keine Konflikte mit privaten Eigentümern gibt.

Doch insgesamt sieht die Bilanz in Sachsen bescheiden aus. Von den einst 49 geprüften Vorhaben blieben 39; umgesetzt seien ganze sechs mit einer Fläche von 188 Hektar - 3,5 Prozent dessen, was vor 15 Jahren geplant war, sagt der grüne Landtagsabgeordnete Wolfram Günther und klagt, ökologischer Hochwasserschutz finde »nur im Schneckentempo statt«. Dagegen habe man bei der Sanierung der Deiche und dem Bau großer Rückhaltebecken »weder Kosten noch Mühe gescheut«.

Doch auch wenn die Mühlen eher langsam mahlen: An der Erkenntnis, dass Flüsse mehr Raum brauchen, kommt keiner mehr vorbei. In Sachsen-Anhalt würden derzeit weitere 20 Projekte für Deichverlegungen und Polder geprüft, sagt Umweltministerin Claudia Dalbert (Grüne). Wie viel Wasser bis zu ihrer Umsetzung noch durch den Lödderitzer Forst fließt, bleibt abzuwarten.

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