Dynamo will nicht in den Donbass

Kiewer Fußballklub beschwört einen Eklat in der ukrainischen Liga herauf

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 4 Min.

Mariupol, die drittgrößte Stadt des umkämpften Donbass, ist nicht der sicherste Ort der Welt. Die Stadt mit rund 450 000 Einwohnern wird zwar von der ukrainischen Regierung kontrolliert, liegt allerdings nur 20 Kilometer von der Frontlinie entfernt - und die Kämpfe zwischen der ukrainischen Armee und den prorussischen Separatisten hören nicht auf. Auch in diesen Tagen, trotz der vereinbarten Waffenruhe zum Schulbeginn am 1. September, wird in der Ostukraine noch gekämpft. Da es in Mariupol seit Mitte 2015 relativ ruhig ist, hat sich die Industriestadt zum provisorischen administrativen Zentrum des Gebiets Donezk entwickelt, während Donezk selbst seit dem Frühjahr 2014 von den Separatisten kontrolliert wird.

Auch fußballerisch hat die Stadt etwas zu bieten. Lange Jahre spielte der FK Mariupol in der höchsten Liga des Landes, in der vergangenen Saison schaffte das Team von Trainer Olexander Sewidow den erwarteten Wiederaufstieg. Dabei hatte Mariupol die ganze Saison über im eigenen Stadion gespielt und ist somit der einzige hochklassige Verein aus der Region, der nach wie vor zu Hause spielt. Klubs wie Schachtar Donezk, Olimpik Donezk und Sorja Luhansk mussten ihre Heimat im Donbass kurz nach dem Beginn der militärischen Auseinandersetzung verlassen, die bisher mehr als 10 000 Menschenleben kostete.

»Wir fühlen uns sehr wohl zu Hause. Natürlich ist die Stimmung manchmal angespannt, doch es ist deutlich ruhiger in Mariupol, als viele denken«, sagt Sewidow, dessen Team auch in der Premjer-Liga seine Heimspiele im Mariupoler Illitschiwez-Stadion austrägt. Bisher verläuft die Saison recht erfolgreich: Mit acht Punkten aus sechs Spielen liegt Mariupol auf dem sechsten Platz im Mittel der Tabelle. Doch es sind nicht die Leistungen, die bereits seit einigen Monaten Schlagzeilen rund um den Verein schreiben. Vielmehr ist es der ukrainische Rekordmeister Dynamo Kiew, der Öl ins Feuer gießt.

Eigentlich sollten beide Vereine am Sonntag in Mariupol gegeneinander spielen. Obwohl die vorherigen Partien in Mariupol problemlos liefen, verweigerte Dynamo von Anfang an die Austragung in der Ostukraine. »Wir müssen Dinge beim Namen nennen, es herrscht Krieg«, sagte Dynamos Präsident Ihor Surkis. »Mariupol liegt sehr nah an der Frontlinie. Bei allem Respekt: Die Austragung von Fußballspielen ist dort kaum möglich. Wer garantiert, dass niemand einen Anschlag auf unseren Teambus ausübt? Wer garantiert, dass keine Provokationen stattfinden? Man erzählt, alles würde problemfrei ablaufen, doch Worte allein reichen nicht.«

Ob es bereits als Garantie gilt, dass die bisherigen Spiele in Mariupol ruhig verliefen? Für Surkis eher nicht: »Dynamo hat eine völlig andere Symbolkraft, eine größere Bedeutung - auch aus politischer Sicht.« Daher drohte Kiew seit Monaten dem ukrainischen Fußballverband sowie der Liga, der Verein würde ohne seriöse schriftliche Sicherheitsgarantien auf die Reise nach Mariupol verzichten. Dynamo nutzt das Argument, in Mariupol wie im gesamten Regierungsbezirk Donezk herrsche mittlerweile das »rote« - also das höchste - Terrorgefahrlevel. Die kurze Entfernung zur Front mache Mariupol zudem noch gefährlicher als andere Städte. Andererseits ist die Stadt durch die Armee bestens geschützt, rund 20 000 Soldaten sind hier stationiert. So wird in Mariupol nicht nur Fußball gespielt, auch große Konzerte.

Das Spiel Mariupol gegen Dynamo wurde aber zum großen Politikum. Sowohl der ukrainische Innenminister Arsen Awakow als auch der stellvertretende Polizeichef Wjatscheslaw Abroskin verteidigten die Austragung öffentlich. »Mariupol ist Ukraine - und wir werden als Innenministerium für die Sicherheit sorgen«, sagte Awakow. Ironischerweise äußerte sich sogar der Chef der selbst ernannten Volksrepublik Donezk zum Thema: »Unsere Armee wird am Tag des Spiels definitiv nicht in Richtung Mariupol schießen«, sagte Alexander Sachartschenko. Dynamo konterte mit zwei Schreiben, die die Position des Klubs festigen. Zum einen betont der ukrainische Sicherheitsdienst SBU die schwierige Situation in der Region. Demnach sollen erhöhte Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. Zum anderen - und hier wird es in der Tat verwirrend - hält Awakows Innenministerium die Austragung des Spiels für unnötig. Zwar nicht generell, aber doch aktuell nur wenige Tage nach dem Unabhängigkeitstag am 24. August.

Das Exekutivkomitee des ukrainischen Fußballverbandes FFU entschied mit 28:2 Stimmen gegen die Verlegung des Spiels. Die FFU dürfte wohl juristisch Recht behalten, denn die Spiele in Mariupol hat niemand verboten, daher können sie dort stattfinden. Dass Dynamo am Sonntag in Mariupol erscheint, ist dennoch unwahrscheinlich. Die Kiewer würden in dem Fall automatisch eine 0:3-Niederlage kassieren - kündigten aber auch eine Klage gegen die FFU vor dem Internationalen Sportschiedsgericht CAS an.

Dass es Dynamos Klubführung wirklich um die Sicherheit von Fans und Spielern geht, ist allerdings auch unwahrscheinlich. Vielmehr wird vermutet, die ganze Angelegenheit sei ein weiterer Teil der Auseinandersetzung zwischen Dynamos Präsident Surkis und einem anderen ukrainischen Oligarchen, Rinat Achmetow, der als Präsident des Erzrivalen Schachtar Donezk fungiert. Achmetow unterhält auch enge Beziehungen zu Mariupols Klubführung und zur FFU.

»Surkis sind die Leute im Donbass egal«, sagte der Gouverneur des Bezirks Donezk, Pawlo Schebriwskij. Und auch der FK Mariupol forderte den Kiewer Verein nun auf, den ukrainischen Fußball »nicht zum Zirkus zu machen«. Gebracht hat es wenig: Statt gegen den Rekordmeister wird Mariupol am Sonntag aller Voraussicht nach gegen eine ukrainische Veteranenauswahl spielen.

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