Megareform mit magerer Bilanz

Indiens Premier wollte mit dem Einzug von Bargeld Korruption bekämpfen. Nun leiden Wirtschaft und Konsum

  • Mathias Peer, Bangkok
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war acht Uhr abends am 8. November 2016, als Indiens Premierminister Narendra Modi sein Volk auf einen Kampf voller Entbehrungen einschwur: »Korruption und Schwarzgeld breiten sich immer weiter aus«, warnte der Politiker. Staatsmännisch verkündete er: »Es ist der Moment in der Geschichte des Landes gekommen, in dem ein harter und entschiedener Einschnitt nötig ist.« Was dann folgte, traf das 1,3 Milliarden Einwohner große Land völlig unvorbereitet: Sämtliche 500- und 1000-Rupien-Scheine verloren noch am selben Tag um Mitternacht ihre Gültigkeit. 50 Tage blieben den Bürgern, um die Banknoten, die fast 90 Prozent des gesamten Bargeldes ausmachten, auf Konten einzuzahlen.

Seit Modis Rede ist ein Dreivierteljahr vergangen. Abgeebbt ist die Schockwelle aber immer noch nicht. Neue Konjunkturzahlen legen nahe, dass die Wirtschaft noch immer unter der radikalen Reform leidet. Und ein Bericht der Zentralbank führt vor Augen, dass die Regierung ihre hochgesteckten Ziele offenbar klar verfehlt hat.

Modis Hoffnung war klar: Wer Geld aus illegalen Quellen besitzt oder Steuern hinterzogen hat, würde es nicht wagen, es gegen neue Noten einzutauschen. Korrupten und Kriminellen bliebe nichts anderes übrig, als ihre Scheine in den Ganges zu werfen, sagte der Premier. Bis zu 20 Prozent der Bargeldsumme von 240 Milliarden Dollar (200 Milliarden Euro) könnten so aus dem Verkehr gezogen werden, verbreitete die Regierung damals.

Die Bilanz, die Indiens Notenbanker nun vorlegen, zeigt jedoch ein ganz anderes Bild: 99 Prozent der 15,4 Billionen Rupien, die Modis Bargeldreform für unbrauchbar erklärte, wurden demnach wieder in Umlauf gebracht. Sollten tatsächlich riesige Summen aus illegalen Quellen im Umlauf gewesen sein, wie die Regierung vermutete, hatten die Besitzer offenbar kaum Scheu, das Geld wie jeder andere zu den Banken zu tragen.

Zu dieser Erkenntnis zu gelangen, stellte sich für den Subkontinent jedoch als teures Experiment heraus: Weil die Banken Ende vergangenen Jahres monatelang mit dem Ansturm überfordert waren und an den Geldautomaten ein akuter Mangel an den neuen Scheinen herrschte, war Indiens Wirtschaft lange Zeit mit Bargeld unterversorgt. Das ließ den Konsum einbrechen, bescherte Geschäftsleuten Kapitalengpässe und ließ Preise etwa für landwirtschaftliche Rohstoffe stark sinken.

Die Folgen sind nach wie vor spürbar: Indiens Wirtschaftswachstum sank im jüngsten Quartal überraschend stark auf 5,7 Prozent, wie die Statistikbehörden mitteilten. Noch vor einem Jahr lagen die Zuwächse beim Bruttoinlandsprodukt bei 7,9 Prozent - Indien war damit klar die am schnellsten wachsende große Volkswirtschaft. Doch das war vor Modis gefährlichem Unterfangen. »Der schwerfällige private Konsum war aufgrund der anhaltenden Auswirkungen der Bargeldreform zu erwarten«, kommentierte Hugo Erken, Analyst bei der niederländischen Rabobank. »Es hätte niemals dazu kommen dürfen«, sagte N.R. Bhanumurthy, Ökonom am National Institute of Public Finance and Policy in Neu Delhi. Das Programm sei in erster Linie politisch und nicht ökonomisch angelegt gewesen.

Auch Modis politische Gegner zeigten sich empört: Modi habe die Menschen in die Irre geführt und falsche Aussagen gemacht, sagte Anand Sharma, einer der Führer der oppositionellen Kongresspartei. Die Bargeldreform bezeichnete er als »größte Abzocke«.

Trotz der Verwerfungen, die Modis Reform verursachte, war die Maßnahme in der Bevölkerung aber nicht unbeliebt. Der Anschein der Korruptionsbekämpfung gefiel den Anhängern von Modis hindu-nationalistischer Partei BJP, die in den vergangenen Monaten denn auch mehrere Wahlen gewann.

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