Sozialismus - das ist Sieg über den Tod

Eine Ausstellung im HKW erinnert an den russischen Kosmismus

  • Thomas Möbius
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist tragisch, dass keiner der Erbauer des Sozialismus das Risiko eingeht zu sagen, dass ohne den Kampf gegen den Tod an Sozialismus nicht zu denken ist und dass der Kommunismus nicht ohne den Sieg über den Tod errichtet werden kann«, schrieb 1936 Nikolai Setnizki an Maxim Gorki. Ein Sozialismus ohne Befreiung von der Natur, Überwindung des Todes und Eroberung des Kosmos sei zu klein gedacht. Was wie Science Fiction klingt, war Ausdruck der utopischen Aufbruchsstimmung nach der Oktoberrevolution. Setnizki gehörte zu den Kosmisten, einer Bewegung, die auf den Ideen des russischen Philosophen Nikolai Fjodorow (1829-1903) gründete.

In seiner »Philosophie der gemeinsamen Tat« forderte Fjodorow die Menschheit auf, sich zu vereinigen in der »gemeinsamen Tat«, die »blinde, bewusstlose Natur in eine von der Vernunft aller gelenkte Kraft« zu verwandeln, den Tod zu überwinden und alle Verstorbenen wiederzuerwecken. Auferweckung und Unsterblichkeit, weil die »Tat« nur als Werk der gesamten Menschheit, der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Generationen, gelingen könne; und weil nur so wahre Gerechtigkeit zu erreichen sei. Gerechtigkeit allein für die jetzt und zukünftig Lebenden bliebe eine historische Ungerechtigkeit gegenüber den vorherigen Generationen, würde deren Leiden und Opfer hinnehmen. Wiederauferstehung und Unsterblichkeit bedingen jedoch, den Kosmos zu besiedeln, für alle Generationen wird die Erde zu klein.

Fjodorows Ideen beeinflussten Künstler, Literaten, Philosophen, Wissenschaftler, unter ihnen Konstantin Ziolkowski, den Vordenker der sowjetischen Raumfahrt; insbesondere aber die russische Avantgarde. Das Haus der Kulturen der Welt (HKW) geht in einer Ausstellung »Art Without Death« diesen Ausstrahlungen nach. Sie stellt den russischen Kosmismus als geistige Strömung vor, die bis in die Gegenwart wirkt.

Die Ausstellung besteht aus drei Teilen: zum einen einer Schau mit Werken der russischen Avantgarde aus der Sammlung George Costakis des Staatlichen Museums für Zeitgenössische Kunst in Thessaloniki. Unter dem Titel »Cosmic Imagination« zeigt sie Gemälde, Zeichnungen und Collagen, die kosmistische Motive aufgreifen: Konstruktionen, die eine Architektur in der Schwerelosigkeit evozieren, Interpretationen von Kasimir Malewitschs »Schwarzem Quadrat« als kosmischen Raum, aber auch figürliche Darstellungen von Auferstehung und Unsterblichkeit, wie Solomon Nikritins »Wiederauferstehung einer Meldebeamtin«, das Fjodorow auf ironische Weise wörtlich nimmt.

Als zweiter Teil ist die Film-Trilogie »Immortality for All!« des russisch-amerikanischen Künstlers Anton Vidokle zu sehen. Die drei halbstündigen Filme erkunden in einem Mix aus Essay, Dokumentation und Performance Ursprünge, Einflüsse und Spuren des Kosmismus, historisch bis in unsere Zeit.

Den dritten Teil bildet eine raumgreifende Installation des russischen Künstlers Arseni Schiljajew: ein großer Tisch in Sternform, auf ihm eine Sammlung von Schlüsselwerken kosmistischer Philosophie, Wissenschaft, Literatur und Science Fiction - zum Lesen sollte man genug Zeit mitbringen. Der Titel der Installation, »Intergalactic Mobile Fedorov Museum-Library Berlin« greift Fjodorows Vorstellung vom Museum als Forum auf, in dem Vergangenheit und Gegenwart zusammenfinden. Ergänzt werden die drei Teile durch einen sehr informativen Zeitstrahl zum Kosmismus. Neben Text und Fotos sind hier auch historische Filmausschnitte zu sehen.

Bei der Eröffnung verglich Bernd M. Scherer, Direktor des HKW, den Anspruch der Ausstellung mit Fjodorows Ziel, die Toten wiederzuerwecken und die Vergangenheit mit der Gegenwart zu vereinen: Man wolle den Kosmismus aus der Vergessenheit holen und wieder lebendig werden lassen.

Die Ausstellung zeigt, wie sehr der Kosmismus Teil der Ideengeschichte der Moderne ist. Da ist viel zu entdecken. Doch ihn als Denkströmung für unbewältigte Probleme der Moderne stark zu machen, scheint zweifelhaft. Am Beispiel Malewitschs zeigt sich, wie dicht das kosmistische Denken an Esoterik und Okkultem ist. Eingedenk der Worte von Heiner Müller: »Dunkel Genossen ist der Weltraum sehr dunkel«

Art Without Death: Russischer Kosmismus. Haus der Kulturen der Welt. 1.9. - 3.10.2017, täglich (außer Di) und feiertags 11-19 Uhr, 7 €/5 €, Mo & unter 16 freier Eintritt.

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