Werbegag ging nach hinten los

Tesla betätigte sich als Fluchthelfer in Florida und schürt damit Ängste von Konzernkritikern

  • John Dyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Als der Hurrikan »Irma« den mehr als drei Millionen Menschen in Florida Stromausfälle bescherte, fanden die Tesla-Ingenieure einen Kniff. Da alle Modelle des Elektroautoherstellers permanent mit dem Internet verbunden sind, griffen sie von außen in die Leistungssteuerung der Auros ihrer Kunden in dem US-Bundesstaat ein. Sie hoben durch eine Softwareänderung die bisherige Drosselung von Batteriekapazität auf. Statt 60 Kilowatt hatten die Batterien damit eine Leistung von 75 Kilowatt. Das gab den Fahrern einiges mehr an möglicher Fahrleistung, um vor dem heranziehenden Monstersturm nach Norden zu fliehen. Die Autos konnten 48 Kilometer weiter fahren, bevor sie wieder aufgeladen werden mussten.

»Angesichts dieser außergewöhnlichen Umstände und um Ihnen zu helfen, sich besser auf die Evakuierung vorzubereiten und in Sicherheit zu bringen, ist Ihr Fahrzeug - ohne Kosten für Sie - so geändert worden, dass es Zugriff auf zusätzliche Batteriekapazität hat«, schrieb Tesla in einer E-Mail. Die Freischaltung ende am 16. September.

Die Batterien haben die jetzt freigegebene Kapazität standardmäßig, aber sie steht nicht allen Kunden zur Verfügung. Wer sie bisher schon nutzen wollte, musste für die längere Reichweite einen Aufpreis von bis zu 9000 Dollar bezahlen. Tesla baut in alle Modelle dieselben Batterien ein und bezeichnet die künstliche Drosselung als »binning«.

Auslöser für die Tesla-Aktion war der Anruf eines Fahrers aus Florida, der anfragte, ob er die Reichweite seines Elektroautos für die Evakuierung verlängern könne. Darauf schaltete Tesla sein Fahrzeug - und auch alle anderen in der Region - per Fernzugriff über das Internet frei. So wurde der Autohersteller zum Fluchthelfer. Viele Kunden aus Florida waren begeistert und twitterten das auch: »Whoa«, schrieb etwa der Nutzer Austen Allred. »Tesla hat gerade stillschweigend jedes 60D Model S in der Evakuierungszone aufgerüstet, damit es weiter fahren kann. Gratis!«

Als »Irma« nach Norden weiterzog und dabei über Land immer schwächer wurde, mischten sich in die Begeisterung auch Nachdenken und kritische Nachfragen. »Mein Auto macht jetzt das, was physikalisch immer schon möglich war, denn die Batterie wird nicht länger von einer Großfirma als Geisel gehalten«, schrieb Sebastian Besselsen als Antwort auf den Tweet. Andere meinen, die Möglichkeit des Unternehmens, über das Internet auf das Steuerzentrum des Wagens zuzugreifen, sei ein Zeichen für die gefährliche Abhängigkeit der Menschen von Großkonzernen.

Teslas Werbegag ging also auch nach hinten los. Der bei Autofahrern populäre Blog »Jalopnik« schrieb, die ferngesteuerte Heraufstufung bestätige »unsere tiefgreifenden Ängste über das Fahren im 21. Jahrhundert«. Blogger Justin Westbook zeichnete Szenarien, in denen Firmenmanager bei Katastrophen an die Stelle von Regierung und Bürgern in kritischer Lage treten und »die wichtigsten Entscheider« werden. Wenn dann Unternehmen wie jetzt Tesla nicht ihre schlafende Technologie einfachen freischalten, um Menschen in Not zu helfen, dann würden nur die Reichen überleben, die sich den Extradienst leisten könnten.

Ansonsten sammelte Tesla aber durchaus einige Pluspunkte. Während die Tankstellen für Benzin von Autofahrern belagert waren und dort zum Teil der Treibstoff ausging, blieben die 18 besonders schnellen Ladestationen von Tesla in Florida durchgehend am Netz. »Danke«, twitterte Kundin Belle, die mit ihrem »wundervollen Model S« gerade die Flucht aus Florida geschafft hatte. »Benzintanken war ein Chaos. Den Tesla Aufladen ein Kinderspiel.«

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