Mütter und Mörder

Im Kino: »Mother!« von Darren Aronofsky

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 5 Min.

In christlichen Kreisen sagt man, der Weg in die Hölle sei ein bequemer - im Gegensatz zum strapaziösen Weg der Tugendhaftigkeit. In Darren Aronofskys Film »Mother!«, einem radikalen, geschwätzigen und rätselhaften Angriff auf das Nervenkostüm und das ästhetische Empfinden der Kinozuschauer, trifft diese Binsenweisheit nicht zu. Aronofsky geleitet uns zwar in seine exquisite Hölle, doch der Weg dorthin ist für den Betrachter extrem beschwerlich. Führt er doch über die quälenden und extra banalen Darstellungen der Alltagsprobleme eines ungleichen Paares einerseits und einen Wust aus teils ungelenk vermischten Anspielungen auf Philosophie, Religion und Okkultismus andererseits. Doch so anstrengend, abstoßend, ja: ärgerlich die erste Hälfte dieser kruden Mysterie-Mischung auch sein mag - der Film mündet in ein irrsinniges und verstörendes Finale, das in seiner krassen Konsequenz im Mainstream-Kino Seinesgleichen sucht und das noch lange nach Verlassen des Theaters nachhallt - selbst wenn man zu jener großen Gruppe von Menschen gehört, die dem Film nun ihren ungebremsten Hass entgegenschleudern.

Mother, das ist der Charakter von Jennifer Lawrence: eine irritierend devote, verführerische, von ihrem deutlich älteren Mann jedoch nicht beachtete, geschweige denn befriedigte Frau. »Er« (Javier Bardem) ist der Mann von Mother, ein prominenter Poet, der unter einer Schreibblockade leidet und den Frust darüber an seiner Frau auslässt. Das ist teils schroff und ignorant, bewegt sich aber in den Grenzen jener normalen Grausamkeit, der sich viele Paare täglich aussetzen. Weniger normal ist dagegen, dass das einsame Landhaus, das Mother aufopfernd und bis zur Selbstaufgabe renoviert, ein spukhaftes Eigenleben zu besitzen scheint.

Altmodischer Gruselfilm, extrem zugespitztes Künstler-Psychogramm, Szenen einer missglückten Ehe, Satanisten- und Menschenfänger-Profil: »Mother!« legt eine Vielzahl an falschen Fährten und ist sehr erfolgreich (und auch singulär) darin, den Betrachter völlig im Unklaren darüber zu lassen, was als nächstes passieren könnte. Da man auch nach der Hälfte des Films noch nicht ausmachen kann, mit welchem Genre man es hier eigentlich zu tun hat, läuft man immer wieder total unvorbereitet und mit Karacho in Aronofskys aufgeklappte und angespitzte dramaturgische Messer hinein.

Das bereits schräge Gefüge im Haus gerät vollends durcheinander, als sich ein wildfremdes Pärchen dreist in den Räumen breit macht und festsetzt. Die vortrefflichen Ed Harris und Michelle Pfeiffer haben hier noch einmal ganz große Auftritte als unhöfliches und aus dem Leim gehendes Gespann. Doch warum ist der Poet so begeistert von den beiden Störenfrieden, dass er sie - zum Schock seiner Frau - fröhlich zum Bleiben einlädt? Und woher kommt diese Vertrautheit, kennt der Dichter diese Menschen, verbindet sie ein Geheimnis? Im Gesicht seiner Frau kann man ablesen, dass ihr Mann ihr immer rätselhafter erscheint. Überhaupt dieses Gesicht, das über zwei Drittel der Laufzeit in Nahaufnahmen die Leinwand ausfüllt: Jennifer Lawrence beherrscht den Film, obwohl sie ausschließlich schwache und banale Dialogzeilen hat. Sie macht die großen Schwächen des Scriptes wett durch Mimik und Präsenz. Oscarreif!

Feministen verfluchen derweil die Unterwürfigkeit von Lawrence’ Figur und damit den ganzen Film. Das ist zu kurz gegriffen, denn eine Frau zu zeigen, die schlecht behandelt wird, bedeutet noch keine Komplizenschaft mit dem Unterdrücker. Auch dass es Frauen gibt, die sich aus vergleichbaren Situationen nicht (sofort) befreien können, ist kaum zu leugnen.

Mit dem Eintreffen des merkwürdigen Pärchens setzt sich ein unheimlicher Mechanismus in Gang. Die Zeichen mehren sich, etwas ist aus dem Lot, die Ahnung schrecklicher Vorkommnisse liegt in der Luft: Fiese Visionen von herausgerissenen, noch schlagenden Herzen suchen die Frau heim, hässliche Kreaturen kommen die Toilette hoch, das Haus blutet aus vaginaförmigen Wunden. In dieser Phase erinnert der Film mit seinen okkulten Andeutungen und einer durch eine verschworene Gruppe terrorisierten Frau an »Rosemary’s Baby« und »Repulsion« von Roman Polanski. Doch Aronofsky hatte mehr vor als die Analyse einer vereinsamten Labilen. Viel mehr - und viel zu viel.

Die Zeit schreitet fort, nach einem dramatischen Höhepunkt scheint für einen kurzen Moment alles wieder gut: Die Fremden sind weg, der Sex funktioniert wieder, ein Baby ist auf dem Weg. Und der Dichter hat endlich wieder ein Buch geschrieben. Eines, das ihm eine fanatische Anhängerschaft beschert, die ihm blind anbetend, aber auch aggressiv fordernd wie einem Heiland (oder mindestens einem Jim Jones) gegenübersteht. Vor dem Haus sammeln sich also wieder die Fremden. Diesmal in Massen.

Logik-Löcher, fragwürdige Metaphern, eine nur schwer nachvollziehbare Duldsamkeit der Frau, einfach verschwundene Personen: Der Film hat viele Schwächen. Eine seiner Stärken ist der visuelle Mut und der (auch in der Umsetzung) sensationelle Kunstgriff, einen ganzen Kosmos in das einsame Landhaus zu holen. Denn »Mother!« hat eigentlich nur diesen einen Schauplatz. Der Film ist dennoch kein Kammerspiel, da Aronofsky es schafft, vom Neuen Testament und religiösem Eifer über Internierung und Polizeibrutalität bis zur blind-hedonistischen »Farbrevolution« zahlreiche sehr aktuelle globale Strömungen innerhalb (!) des Hauses abzubilden. Man kann das wie die »FAZ« als »hysterischen Eskalationskarneval« abkanzeln. Aber die hier exekutierte spektakuläre Kunstfertigkeit, die Fantasie und die ungebändigte Wildheit muss man anerkennen und würdigen.

Es ist in diesem Fall keine PR-Phrase: Diesen Film liebt man oder man hasst ihn - beides ist wohl zu begründen. Ansehen aber sollte man ihn.

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