Wenn da nicht dieser Hügel wäre

Bei der Straßenrad-WM zählt sich Titelverteidiger Tony Martin nicht zu den Favoriten, da am Ende des Zeitfahrens eine steile Rampe wartet

  • Stefan Tabeling, Bergen
  • Lesedauer: 3 Min.

24 Jahre ist es her, als ein gewisser Jan Ullrich im Regen von Oslo als jüngster Amateurweltmeister erstmals die Radsportwelt verblüffte. 20 Jahre war der spätere Tour-de-France-Sieger damals jung. Einige Tage später raste der ebenfalls noch recht unbekannte Texaner Lance Armstrong an gleicher Stelle zum WM-Titel der Profis. Wenn ab Sonntag in Bergen erstmals wieder die Straßenrad-Weltmeisterschaften in Norwegen stattfinden, stehen die beiden Protagonisten von einst längst stellvertretend für eine dunkle Dopingära im Radsport.

Aus deutscher Sicht konzentrieren sich in diesen Tagen die Hoffnungen auf Tony Martin und John Degenkolb, wenngleich die Voraussetzungen nicht die besten sind. Martin geht zwar als Titelverteidiger und viermaliger Champion ins Einzelzeitfahren. Und die Chancen auf Titel Nummer fünf stünden gar nicht mal so schlecht, wenn da nicht dieser Mount Floyen - ein 3,4 Kilometer langer Schlussanstieg mit durchschnittlich 9,1 Prozent Steigung - am Ende des Parcours zu bewältigen wäre. »Meine Erwartungen sind gedämpft. Der Titel ist utopisch«, sagte Martin.

Dem WM-Titel, oder wenigstens einer Medaille im Straßenrennen der Profis jagt auch John Degenkolb seit einigen Jahren hinterher. Der Kurs würde dem Thüringer durchaus liegen, auch die Kopfsteinpflasterpassage ist im Sinne des einstigen Roubaix-Königs. Allein Degenkolbs Form lassen Zweifel aufkommen. Wegen einer heftigen Bronchitis hatte der 28-Jährige jüngst bei der Vuelta aufgeben müssen. Den Formrückstand will Degenkolb aufholen, dafür reist er sogar erst zwei Tage vor dem Rennen nach Norwegen. »Ich bin hoch motiviert«, ließ er wissen. Seit Rudi Altigs Sieg 1966 wartet Deutschland bereits auf einen Sieg im Eliterennen, die letzten beiden Male triumphierte der auch in diesem Jahr als Favorit startende Slowake Peter Sagan.

Los geht es ab Sonntag im hohen Norden aber zunächst mit den Mannschaftszeitfahren. Im vergangenen Jahr hatten Martin und Marcel Kittel mit dem Quick-Step-Team noch Gold geholt. Martin fährt inzwischen für Katjusha und sieht sein Team nicht im engeren Favoritenkreis, wenngleich »der Traum da ist«. Kittel wurde erst gar nicht von seinem Rennstall nominiert, ein goldener Abschied vor seinem eigenen Wechsel zu Katjusha bleibt ihm damit verwehrt. Für Martin ist BMC der große Favorit, auch das Team Sky mit Topstar Chris Froome gehört zu den Siegkandidaten.

Nach dem Double aus Tour de France und Vuelta will Froome seine überragende Saison vergolden. Vor allem im Einzelzeitfahren am Mittwoch ist er neben Giro-Champion Tom Dumoulin (Niederlande) der große Favorit. »Ich gehe mit der Erwartung rein, dass ich um die Medaillen mitkämpfen will«, beschreibt Martin seine eigenen Chancen.

2016 hatte er bei weit über 30 Grad in der Hitze von Doha mit dem vierten Titelgewinn zu Rekordsieger Fabian Cancellara (Schweiz) aufgeschlossen. Diesmal erwartet ihn das Kontrastprogramm. Bergen ist die regenreichste Stadt in Europa. »Über das Wetter mache mir keine Gedanken. Für mich wäre Hitze eher negativ. Ich freue mich auf kühlere Temperaturen, auch mit Regen könnte ich arbeiten«, sagt Martin.

Dass im Sommer bei der Tour de France im Regen von Düsseldorf sein Traum von Gelb weggespült wurde, sei kein schlechtes Omen. Vielmehr wurmt ihn, dass er im Jahr 2017 noch immer ohne Zeitfahrsieg ist - abgesehen vom seit Jahren fest gebuchten deutschen Meistertitel. »Ich habe die Antwort dafür noch nicht gefunden«, sagt er. Vielleicht bekommt er in Norwegen neue Erkenntnisse. dpa/nd

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