Rote Laterne für die Deutsche Bahn

Deutschland bleibt Autoland - auf Kosten des Schienenverkehrs

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Gleisabsenkung im badischen Rastatt vom 12. August einschließlich der nun bis zum 2. Oktober dauernden Sperrung der Strecke wird insbesondere von den Schweizern erstaunt beäugt und süffisant kommentiert. Immerhin geht es um die wichtigste europäische Verbindung für den Güterverkehr auf der Schiene zwischen Rotterdam und Genua. Wer hier eine Gleisabsenkung nicht schnell beheben kann oder will, so eine naheliegende Interpretation, dem ist an einem effektiven Schienenverkehr nicht gelegen. So gewann die lange vorher geplante Veranstaltung am vergangenen Donnerstag in Berlin besondere Aktualität, weil das Ereignis noch deutlicher macht, wie gering das Interesse der deutschen Politik an dieser Form der Mobilität ist.

Für Berlins S-Bahnchef Peter Buchner ist die Bahn die beste Lösung dafür, Ballungszentren zu verbinden, schnell hinein und wieder herauszukommen und auch innerhalb der großen Städte auf wenig Raum viele Fahrgäste zu transportieren. Dabei sind Vorbilder für schnelle Metropolenverbindungen auch eher jenseits deutscher Grenzen zu suchen. So erreicht man von Zürich aus Paris oder München etwa in der gleichen Fahrzeit - wobei die Strecke in die französische Hauptstadt um mindestens ein Drittel länger ist. Eine Zukunft hätte die Bahn, wenn es gelänge, dem Flugverkehr die Metropolenverbindungen wieder abzujagen. Dazu müsste aber Nachfrage und Akzeptanz gründlich geprüft werden, sagte die Bundestagsabgeordnete Renate Künast (Grüne). Nicht nur ihr stößt sauer auf, dass Fernbusse ohne Maut fahren dürfen, Flugbenzin nicht besteuert wird und die Deutsche Bahn in den Vorjahren zudem extrem »ausgewrungen« wurde.

Das Mobilitätskonzept eines entwickelten Landes mit einer starken Auto-Export-Industrie kann jedoch auch völlig anders aussehen. Das zeigt das japanische Beispiel, das Eric Cosandey erläuterte. Der Schweizer ist Geschäftsführender Vorstand bei der SMA und Partner AG aus Zürich. Das Unternehmen war an der Einführung von Taktfahrplänen in Deutschland beteiligt und zählt die Deutsche Bahn zu seinen Kunden. »In Japan strebt man auch in diesem Bereich nach Exzellenz. Dort wird in die Bahn doppelt so viel pro Kopf investiert wie in der Schweiz, es ist die teuerste Bahn der Welt. Bei den Schnellzügen gibt es sehr viel Nachfrage, der Preis ist auch für die Fahrgäste hoch. Aber die Züge haben ein eigenes Gleisnetz ohne jeden Güterverkehr. Jenseits dessen ist der Regionalverkehr auf europäischem Niveau.« Außerdem gebe es keine attraktive Straßeninfrastruktur, keine Parkplätze in den Städten. Durch die langjährige Wirtschaftsflaute könnten sich die Japaner in der Regel nicht einmal Mittelklassewagen leisten. Daneben habe auch Frankreich mit dem TGV gleichzeitig ein Industrie- und ein staatliches Projekt realisiert. Es liege nahe, dass ein zentralistischer Staat einfacher Hochgeschwindigkeitsstrecken umsetzen könne.

Cosandey ist sich sicher, dass die Bahn ohne eine starke Verkehrspolitik im Hintergrund nicht bestehen wird: »Die Infrastruktur muss dabei der Staat finanzieren«, so die Erfahrung aus der Schweiz. Die Eisenbahn im Verkehrssystem stärken, anderen Verkehrsmitteln ihre bisherigen Privilegien nehmen - das könnte der Weg sein, um eine umweltfreundlichere Mobilität zu erreichen, hofft auch Künast.

Die Bundesrepublik hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg scheinbar irreversibel als Autoland definiert. Das führt bis heute unter anderem dazu, dass 60 Prozent der Oberklasseautos hierzulande als Dienstwagen gefahren werden - jährlich mit fünf Milliarden Euro subventioniert. Angesichts dessen erweist sich die fehlende gesellschaftliche Diskussion über die Zukunft der Bahn als besonders fatal. Vor den Scherben dieser Entwicklung steht man jetzt. Dabei sind verrottende Bahnbrücken vermutlich nur der geringste Teil des Problems.

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