Entdeckungsreise mit dem Prius

Erst belächelt, dann von vielen nachgebaut: Toyota brachte vor 20 Jahren Autos mit Hybridmotor auf den Markt

  • Finn Mayer-Kuckuk, Tokio
  • Lesedauer: 6 Min.

Oktober 1997: Die versammelten Journalisten hielten den Atem an, als auf der Tokioter Automesse ein Scheinwerfer nach dem anderen den Toyota Prius beleuchtete, ein Auto ganz neuen Typs. Firmenpräsident Hiroshi Okuda zählte eine lange Reihe von Superlativen auf, um die Neuentwicklung zu loben.

Takeshi Uchiyamada stand noch in der zweiten Reihe, doch es war sein großer Tag. Der studierte Physiker hatte bei Toyota die drei Jahre dauernde Entwicklung des ersten Hybridautos für den Massenmarkt geleitet. Sein Chef pries das neue Modell nun als »die Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit«. Der Prius sei das Auto für ein 21. Jahrhundert, in dem Öl knapp und der Treibhauseffekt ein Problem sein werde. Trotz eines Drehmoments wie bei einem Sechszylinder-Diesel verbrauchte der Prius weniger als fünf Liter auf hundert Kilometer.

Der Erfolg des Prius gab Uchiyamadas Karriere einen enormen Schub. Seit 2013 ist er Toyota-Vorstandsvorsitzender. Die »Eminenz der Effizienz« ist einer der meistbewundertsten Automanager Japans. Denn der Prius feiert seit seiner Markteinführung einen Erfolg nach dem anderen.

Im Februar 2017 stand Uchiyamada ganz vorne auf der Bühne, als er im Tokioter Museum für Zukunftstechnik und Innovation das jüngste Modell der Reihe vorstellte: den Prius Plug-in-Hybrid der 4. Generation. An der Steckdose aufgeladen, fährt dieses Auto über 50 Kilometer, ohne einen Tropfen Benzin zu verbrauchen. In standardisierten Testfahrten kommt er auf einen Verbrauch von 2,4 Litern Benzin auf 100 Kilometer.

Die Menge jubelte Uchiyamada zu wie einem Popstar. Toyota hatte im Jahr davor das zehnmillionste Auto mit Hybridtechnik verkauft. Zahlen des Forschungshauses IHS zufolge liegt das Unternehmen weltweit beim Verkauf von emissionsarmen Autos auf dem ersten Platz - gefolgt von Hyundai-Kia aus Südkorea.

Während Deutschland sich noch fragt, ob es all die Jahre eine Alternative zur umstrittenen Dieseltechnik gegeben hätte, feiern asiatische Anbieter ihren Vorsprung auf dem Weg in die Mobilität der Zukunft. »Toyota hatte eine Vision und die nötige Entschlossenheit, sie rechtzeitig umzusetzen«, sagt Roman Ditzer, Gründer der Beratungsfirma RD Interlogue.

Zuvor galt Toyota nicht gerade als technischer Pionier. Der Name stand eher für Solidität als für aufregende Neuheiten. Doch der Blick auf die lange Liste von Problemen, die in den kommenden Jahrzehnten auf die Autoindustrie zukommen würden, brachte das Management Mitte der 1990er Jahre zum Handeln. »Diesen Weitblick hatten die meisten deutschen Hersteller nicht«, sagt Ditzer. Sie haben wider besseren Wissens an herkömmlichen Antriebstechniken festgehalten. Nur BMW hatte schon früh eine Elektrostrategie.

Dabei zeigte sich auch die deutsche Presse bei der Vorstellung der ersten Prius-Modelle begeistert. »Die Abkehr vom Verbrennungsmotor ist nicht mehr aufzuhalten«, der Prius mache »Lust auf Zukunft«, schrieben führende Medien. Marktführer Volkswagen brachte dennoch erst geschlagene elf Jahre später den ersten Hybrid-Golf auf den Markt.

Inzwischen tut sich unter dem Eindruck des Dieselskandals zwar etwas - insbesondere bei VW -, doch zum Anführen kommt dies etwas spät. Allein der japanische Anbieter Nissan verkauft derzeit monatlich 1500 Stück seines rein elektrischen Modells Leaf und hat gerade eine deutlich stärkere Version des Autos herausgebracht. Bei Hybriden wiederum lässt sich der Vorsprung von Toyota kaum aufholen: Die Technik des Prius ist von Tausenden von Patenten geschützt. Allein im vergangenen Jahr verkaufte Toyota 1,4 Millionen Autos mit dem Doppelantrieb. Von Januar bis Juni 2017 waren es nach Firmenangaben 770 000 Stück. Toyota deckt jetzt schon praktisch die komplette Modellpalette vom kleinen Yaris bis zum schweren Lexus mit der neuen Antriebsform ab - mehr als 40 verschiedene Typen.

Das japanische Unternehmen hat sich auf diese Weise ein Image als Hersteller umweltfreundlicher Autos erarbeitet. Volkswagen dagegen haftet nun das Stigma des Diesel-Betrügers an. Wolfsburg hat seine Hybride ursprünglich eher pflichtschuldig auf den Markt gebracht, um EU-Regeln einzuhalten, und unverdrossen weiter den Diesel groß beworben. »German Engineering«, hieß es in den USA. Deutsche Automanager erzählten viele Jahre lang, Hybride seien »zu komplex«, zu schwer, »doppelt gemoppelt«, zu teuer, die Batterieentsorgung sei nicht geklärt. Der saubere Diesel sei die überlegene Technik.

Die Hybride haben klar das Rennen gemacht. Das war zur Markteinführung des Prius aber nicht sicher - denn die Autos sind tatsächlich kompliziert. Während ein reines Elektroauto simpel aufgebaut ist, stehen die Techniker bei Vollhybriden wie dem Prius vor einem besonderen Problem: Die Antriebssysteme müssen weich aufeinander abgestimmt sein, sodass sie jeweils unterschiedliche Anteile an der Fortbewegung liefern können.

Das Team von Ingenieuren unter Uchiyamada hatte anfangs mit erheblichen Kinderkrankheiten zu kämpfen. Erst stand der Prototyp auch im Leerlauf nicht still, dann fuhr er nur wenige Hundert Meter, bevor er sich knirschend selbst blockierte. Als wichtigste Mitarbeiter entpuppten sich die Informatiker, die Programme für die Steuerelektronik schrieben. Uchiyamada bestand daher darauf, die Arbeitsplätze aller beteiligten Techniker in einer Werkshalle um den Prototyp herum zu versammeln. Sie sollten sich direkt austauschen können, um die Schwierigkeiten zu überwinden.

Zwischenzeitlich zweifelte Uchiyamada selbst daran, ob ein zuverlässiger Hybrid überhaupt möglich sei. Die Konzernführung saß ihm jedoch mit einem ehrgeizigen Zeitplan im Nacken und verlegte die Markteinführung um zwei Jahre vor.

Der Cheftechniker wurde nervös. Es wurmte ihn, dass die gängigen Batterien nicht die nötige Leistung für den neuen Antrieb brachten. Sie sollten in Zehntelsekunden enorm viel Energie abgeben und sich kurz darauf ebenso schnell wieder aufladen lassen. Wenn der Fahrer auf die Bremse drückt, wandelt ein Dynamo die Bewegungsenergie in Elektrizität zurück. Uchiyamada holte Experten des Elektrokonzerns Panasonic mit ins Boot. Gemeinsam entwickelten Physiker der beiden Vorzeigefirmen der Japan AG die geforderte Batterie, die sich später unter der Rückbank des Prius verbergen sollte. Es gelang sogar, die Kosten für ihre Herstellung auf ein akzeptables Maß zu drücken. Noch heute gehört Panasonic zu den Marktführern für Auto-Akkus. Und Uchiyamada erreichte trotz der vielen neuartigen Bauteile die bekannte Langlebigkeit und Ausfallsicherheit eines Toyota-Produkts.

Auch andere asiatische Hersteller sind auf die Hybridtechnik aufgesprungen. Südkorea gilt längst als starker Konkurrent. Die chinesische Regierung subventioniert einheimische Firmen, die Mischantriebe entwickeln, aus Gründen der Luftreinhaltung besonders üppig. Der Anbieter BYD aus Shenzhen hat 2009 sogar den weltweit ersten Plug-in-Hybrid - nur bei dieser Technik können die Batterien direkt über die Steckdose geladen werden - auf den Markt gebracht und später mit dem Qin einen Bestseller in dieser Kategorie gelandet. Die Firma Geely, Konzernmutter der schwedischen Marke Volvo, will schon 2020 überhaupt nur noch Elektro- und Hybridmodelle auf den Markt bringen.

Japan und China sind vor allem deshalb so begeistert vom Hybrid, weil er sich organisch in die Antriebsformen des Zeitalters nach dem Öl weiterentwickeln lässt. Auch das Wasserstoffauto ist ein Elektroauto, das seinen Strom bloß selbst produziert. Selbst Elektroautos für den Massenmarkt könnten noch eine Weile lang einen kleineren Benzinmotor zum Nachladen dabeihaben - damit sie nicht auf halbem Weg zwischen Berlin und Hannover liegenbleiben.

Steckdosenhybride wiederum verhalten sich im Stadtverkehr bereits wie Elektrofahrzeuge. Kunden, die einmal diese Erfahrung gemacht haben, wollen oft nichts anderes mehr: Die Autos sind leise, kraftvoll, preiswert im Betrieb - und müssen kaum noch an die Tankstelle. Eigenschaften, die der Pragmatiker Uchiyamada schon bei der Vorstellung des neuen Prius vor 20 Jahren aufzählte.

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