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Mit Innovation aus der Krise

Das griechische Thessaloniki arbeitet an einer Gründerszene - Unterstützung kommt aus Berlin

  • Elisabeth Heinze, Thessaloniki
  • Lesedauer: 4 Min.

»Irgendwann kam die Krise, und wir haben gesagt, wir müssen etwas machen. Es gibt zu viele junge Leute, die weggehen«, erklärt Christian Goiny, medienpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, bei seinem Besuch in Thessaloniki. Laut einer Studie der griechischen Zentralbank hat sich die Auswanderung seit der Finanzkrise verdreifacht: 2015 verließen etwa 110 000 Menschen das Land, die meisten zwischen 20 und 34 Jahre jung und gut ausgebildet. Hauptursache ist die Arbeitslosigkeit von über 50 Prozent. In Thessaloniki soll dem Trend durch den Ausbau des Kreativstandorts entgegengewirkt werden.

Die Entwicklung »weicher« Faktoren soll das Wirtschaftswachstum vorantreiben - das Konzept hat sich herumgesprochen. Allmählich wächst hier eine Start-up-Szene heran: »Es gibt einen Zuwachs von jungen Menschen, die seit der Krise beschließen, eine Firma zu gründen. Schätzungsweise sind derzeit 300 bis 400 Start- ups aus verschiedenen Sektoren ansässig«, erklärt Pantelis Angelidis, Leiter der Entwicklungsorganisation Thessaloniki Innovation Zone. Vorbild der nordgriechischen Metropole sei Berlin, das »Innovationshub« Deutschlands. Der Bezug ist nicht nur ein Marketinggag: Dieser Tage fand die Netzkonferenz »Re:publica Re:connecting Europe« zum ersten Mal in Thessaloniki statt.

Griechenlandkenner Goiny gründete 2016 mit Akteuren der Berliner Kreativszene das Start-up »Octopus.Garden«, nun lokaler Partner der Konferenz. Nach der Dekra-Akademie und dem Flughafenbetreiber Fraport ist es die dritte deutsche Firmengründung in der Stadt seit der Finanzkrise. »Wir glauben, dass gerade die Kreativwirtschaft ein guter Nährboden ist, um Thessaloniki mit seinen Stärken aus der Krise herauszuführen«, sagt Goiny und vergleicht die zweitgrößte griechische Stadt mit Ost-Berlin Anfang der 1990er Jahre.

Erneuerung mittels Bezugs auf Geschichte, diesem Motto hat sich die Gemeinde auch selbst verschrieben: Eigentlich gilt Thessaloniki als konservativ. Doch der liberale Bürgermeister Giannis Boutaris legt seit seiner Amtseinführung 2010 den Fokus auf das kosmopolitische Erbe. So soll nicht nur der gehobene Tourismus angekurbelt werden, man möchte auch junge Kreative anlochen und halten.

Die wirtschaftliche Erholung soll mit eigenen Kräften geschafft werden - dabei ist die Umgebung keineswegs gründerfreundlich. Davon weiß Nikos Roidos zu berichten. Zusammen mit vier Studienkollegen gründete er 2012 eine Brauerei-Genossenschaft. Aber bis es mit dem Bierbrauen losgehen konnte, dauerte es drei Jahre. Die Lizenzvergabe verzögerte sich immer wieder, ein Kredit wurde nur in Verbindung mit einer Hypothek vergeben. Als die Mikrobrauerei 2015 ihre Produktion aufnehmen konnte, liefen die Verhandlungen zwischen der griechischen Regierung und den EU-Partnern, in denen über das dritte Kreditpaket entschieden wurde. Kapitalkontrollen wurden eingeführt. »Der Markt war eingefroren. Aber wir haben das alles überlebt, deswegen bin heute ich sehr optimistisch«, erinnert sich der 32-jährige Roidos.

Das trendige Ali Bier wird in fünf Varianten vertrieben, mit unterschiedlichen Rezepturen hebt es sich von Massenprodukten ab. Das Gelingen der Genossenschaft zeigt, dass Kreativität in Nischen möglich ist. Vom Erfolg profitieren die Gründer jedoch nicht finanziell. Das gehe eigentlich jeder griechischen Firma so, meint Roidos, »nur die Familienverbindungen retten dieses Land derzeit noch«.

Das größte Problem für Selbstständige ist die hohe Besteuerung. Sowohl Unternehmens- und Verbrauchs- als auch Mehrwertsteuer wurden drastisch erhöht. Das waren Auflagen des internationalen Kreditprogramms, das Griechenland zum Aufschwung verhelfen soll. Auch Beiträge zur Pflichtversicherung stiegen.

Nicht nur sich ständig ändernde Regulierungen stellen Firmen vor Schwierigkeiten, auch die Verwaltungswege sind lang, langfristige Planung ist schwer. So bleiben Investitionen aus dem Ausland aus. Mittelständische Unternehmen aus der Kultur- und Digitalbranche mit Sitz in Thessaloniki haben sich in Nachbarländer und nach Zypern verabschiedet, weil das Überleben auch mit guter Auftragslage nicht möglich war.

Kostas Tramantzis, Berater der städtischen Gründerzentrale Ok-Thess, sieht trotzdem Anlass zur Hoffnung, schwierige Bedingungen begünstigten das Entstehen von Unternehmens- oder Produktideen. »Mit einer guten Innovation kann man in der Zukunft international sein.« Prominentes Beispiel ist die griechische App-Firma Taxibeat, die von der Daimler-Tochter MyTaxi gekauft wurde.

Nach der Abwanderung gut ausgebildeter Köpfe könnte eine Abwanderung der guten Ideen in andere Länder folgen. Jungunternehmen wie Ali Bier kommt das Interesse an »griechischen Ideen« gelegen. Dennoch sieht Brauer Roidos, der sich auf den heimischen Markt beschränken will, Rufe nach Innovation kritisch: »Die, die jetzt ein Start-up eröffnen und darauf hoffen, dass ihnen jemand die Idee abkauft, damit sie alle viel Geld machen, lassen die demokratische Ebene außer Acht. Sie fragen nicht: Was ist hier eigentlich los, in welcher Gesellschaft wollen wir leben?«

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