Mit dem Rollstuhl auf die Bühne

August-Hermann-Francke-Schule in Spandau verbindet Inklusion mit Theater

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit dem Rollstuhl auf die Bühne

»Wer von Euch in den Sommerferien Geburtstag hatte, hebt jetzt mal bitte die Hand«, sagt Ulrike Müller und schaut in die Runde. In der Aula vor ihr sitzen rund 60 Schülerinnen und Schüler, viele von ihnen im Rollstuhl. Alle Kinder, die in den großen Ferien ihren Ehrentag gefeiert haben, werden von Schulleiterin Müller nacheinander nach vorne gebeten. Als kleines Präsent gibt es einen bunten Luftballon. Beim anschließenden Ständchen singt die ganze Aula mit.

Den ersten Wochenendkreis im neuen Schuljahr begeht man in der August-Hermann-Francke-Schule (AHFS) in Spandau traditionell mit einer musikalischen Geburtstagsfeier. »Jeden Freitag findet bei uns ein Wochenendkreis statt. Zum Schulanfang ist immer besonders viel los. Die Schüler kommen zusammen, singen, machen Musik und starten hoffentlich frohen Mutes in das neue Jahr«, sagt Andreas Merkert. Der Erzieher und Theaterpädagoge arbeitet seit zehn Jahren an der Schule, einer privaten Einrichtung in Trägerschaft des Evangelischen Johannisstifts, die sich auf Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf spezialisiert hat.

Die Gemeinschaft und die Musik, das sei für die Schüler, von denen viele stark in ihrer Bewegungsfähigkeit stark eingeschränkt sind und sich nur lautsprachlich ausdrücken können, sehr wichtig, so Merkert. In elf nach Altersgruppen aufgeteilten Klassen á sechs Schüler versuchen die 50 Erzieher, Pädagogen und Lehrer so gut wie möglich auf die individuellen Bedürfnisse jedes Einzelnen einzugehen.

»Bei uns gibt es keinen Stundenplan, keinen Mittleren Schulabschluss und kein Abitur. Das Ziel ist es, unsere heterogene Schülerschaft individuell aufs Leben vorzubereiten und sie im Idealfall an Werkstattangebote der Behindertenhilfe zu vermitteln«, erklärt Schulleiterin Müller das Bildungskonzept der Förderschule. Integraler Bestandteil des Unterrichts sind die regelmäßig stattfindenden inklusiven Theaterprojekte in Kooperation mit Regelschulen, wie der unweit gelegenen Evangelischen Schule Spandau. Kinder mit und ohne Behinderung sollen bei den Proben und Auftritten die Gelegenheit bekommen, gemeinsam die Möglichkeiten des Performativen zu erkunden.

»Das Theaterspiel ist ein gemeinschaftlicher und kreativer Prozess. Die nichtbehinderten Kinder erhalten ebenso wie die schwer eingeschränkten Schüler die Gelegenheit, sich künstlerisch einzubringen und vor Publikum im Mittelpunkt zu stehen«, sagt Andreas Merkert, der die Theaterprojekte gemeinsam mit Künstlern des inklusiven Theaternetzwerks »TUSCH« betreut. Die künstlerischen Workshops würden von den Schülern, Lehrern und Eltern sowohl an der AHFS als auch an den Regelschulen sehr positiv bewertet, sagt Merkert. Deshalb will man das Konzept der Inklusion in Spandau auch ausbauen. Zusammen mit der Evangelischen Schule plant die AHFS für 2019 unter dem Titel »Schule ohne Grenzen« einen Neubau, in dem jeweils eine Grundschulklasse und eine Förderklasse gemeinsam als Inklusionsklasse unterrichtet werden. »Inklusion ist ein spannendes Bildungskonzept, dass die sozialen Kompetenzen von allen Schülern fördert. Damit es funktioniert, braucht Inklusion aber ausreichend Personal und passende Räume«, so Merkert.

Um den mit Spenden finanzierten Bau der »Schule ohne Grenzen« abzusichern, will die AFHS an die Öffentlichkeit gehen. Deshalb hat sich die Schule für den Zukunftspreis der Länderkulturstiftung »Der Olymp« in der Kategorie »Kulturelles Schulprofil« beworben. An diesem Donnerstag wird der mit 50 000 Euro dotierte Preis in Berlin verliehen. »Natürlich würden wir uns über den Preis freuen«, sagt Pädagoge Merkert. Dass seine Schule überhaupt nominiert wurde, sei aber schon ein Erfolg für sich.

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