Sammeln und finden

Die Mannschaft von Hertha BSC gewinnt verdient gegen launische Leverkusener Fußballer

Pal Dardai nennt den Spätsommer und Herbst »die Sammelphase.« Für Hertha BSC und seinen Trainer geht es in dieser Zeit darum, so viele Punkte wie möglich zu erkämpfen. Darum geht es im Fußball natürlich immer. Aber ein guter Saisonstart macht eben vieles leichter. Oder wie Dardai sagt: »Nach oben zu spielen, ist einfacher.« Mit dem 2:1-Sieg am Mittwochabend gegen Bayer Leverkusen ist der Ungar seinem Etappenziel, die Mannschaft bis Ende Oktober in eine gute Position zu bringen, ein gutes Stück näher gekommen. Erst nach dem zehnten Spieltag will sich der Coach konkret auf ein Saisonziel festlegen.

Dardai ist Realist. Und er blieb es auch, als im Sommer in Berlin heftig gefeiert wurde. Rund um den 125. Geburtstag von Hertha BSC äußerte er bescheiden einen Wunsch, an dem der Klub alljährlich scheitert: »dass wir in dieser Saison ins Pokalfinale kommen.« In der Ausstellung im Berliner Ephraim-Palais, die noch bis Anfang Januar an die bewegende Geschichte des selbst ernannten Hauptstadtklubs erinnert, steht der DFB-Pokal schon mal als Ausstellungsobjekt. Direkt neben der Meisterschale - unter der Überschrift »Erfolge der Zukunft«.

Was beim Museumsrundgang noch als selbstironischer Beitrag gelten kann, rief am Mittwochabend verstörte Blicke hervor: »Der ewige Zweite gegen den zukünftigen Ersten« - so wurde tatsächlich das Duell gegen Leverkusen im Stadionheft angekündigt. Was auch immer sich Hertha BSC in der jüngeren Vergangenheit von Marketingstrategen an zweifelhaften Ideen hat einflüstern lassen, es passt so gar nicht zu dem einfachen, aber sehr wirkungsvollen Fußball, mit dem der bodenständige Dardai die Berliner wieder in der Bundesliga etabliert und sogar in die Europa League geführt hat.

Was der Trainer von seinen Spielern verlangt, war in den 90 Minuten gegen Leverkusen gut zu beobachten. An erster Stelle steht eine aufreibende Abwehrarbeit: Mit viel Laufbereitschaft verteidigte Hertha geschlossen als Mannschaft. In der zweiten Halbzeit und mit einem Zwei-Tore-Vorsprung zogen sich nicht selten alle zehn Berliner Feldspieler an und in den eigenen Strafraum zurück. Natürlich beginnt auch bei Dardai die Abwehrarbeit schon in der Offensive: Erst in den letzten zehn Minuten des Spiels gelang es den Berlinern nicht mehr, durch intensives Pressing das Spiel des Gegners wirkungsvoll zu stören.

Die Anstrengungen in der Defensive sollen durch schnelles und direktes Spiel in der Offensive veredelt werden. Wie beim 1:0. Nach einem Ballgewinn im Mittelfeld liefen gleich drei Spieler auf der rechten Angriffsseite in Position. Einer davon war Mathew Leckie. Der Außenstürmer bekam den Ball, nutzte die schnell geschaffene Überzahlsituation geschickt aus und traf nach 16 Minuten mit einem Schlenzer von der Strafraumgrenze ins lange Eck. Auch acht Minuten später waren die Leverkusener zu langsam. Nach einem Einwurf setzte Herthas Kapitän Vedad Ibisevic Bayer-Torwart Bernd Leno unter Druck, gewann das Duell und bediente den völlig frei stehenden Salomon Kalou. Dessen Kopfball fand den Weg zum 2:0 ins Netz.

Das Torschussverhältnis sah am Ende die Leverkusener weit vorn - 13:5. Wirklich zwingend war aber nicht mal die Situation, die zum Anschluss führte. Julian Brandt traf in der 84. Minute mit einem Gewaltschuss aus 20 Metern. So effizient wie die Berliner kann man eben nur dann spielen, wenn man als Mannschaft funktioniert. Die Leverkusener hatten aber nur elf Einzelspieler auf dem Platz, Automatismen waren nicht zu erkennen. Das Pressing konnte nicht funktionieren, weil meist nicht alle mitmachten. Raumaufteilung und Abstimmung passten weder in der Abwehr noch im Angriffsspiel.

Wohlwollend könnte man dem neuen Leverkusener Trainer Heiko Herrlich noch etwas mehr Zeit für die Vermittlung seiner Vorstellungen zugestehen. Eine lange Findungsphase will der Verein nach Platz zwölf in der Vorsaison aber vermeiden. Er will auch lieber ganz schnell Punkte für das Saisonziel Europa sammeln. Selbst manch ein Spieler scheint schon ungeduldig zu werden. »Ja, wir müssen natürlich alles besser machen«, meinte Sven Bender, »aber das haben wir schon so oft gesagt.« Eine deutliche Ansage hatte Kevin Volland schon vor dem Spiel gemacht: »Wir haben uns in der Vergangenheit auch in die Tasche gelogen. Wir haben geglaubt, das wir mit unserer Qualität locker Spiele gewinnen können.« Gesagt, aber nichts getan. Ähnlich launisch wie in der vergangenen Spielzeit zeigten die Leverkusener nach dem ersten Saisonsieg am Sonntag gegen Freiburg nun wieder eine erschreckend schwache Leistung.

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