»Die SPD wurde von oben nach unten regiert«

Parteilinke kritisieren die jüngsten Personalentscheidungen der sozialdemokratischen Führungsgremien hinter verschlossenen Türen

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.

Für Martin Schulz wird es zur Routine, am Montag im Willy-Brandt-Haus zu Wahlniederlagen Stellung zu nehmen. Nach dem Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen folgte am Sonntag ein Desaster im Bund. Obwohl die SPD mit 20,5 Prozent ihr schlechtestes Bundestagswahlergebnis erreicht hat, gab es in der Parteizentrale viel Applaus und Schulterklopfen für den Parteichef und Spitzenkandidaten. Der hatte nicht nur schlechte Nachrichten mitgebracht. »Etwa 1400 neue Mitglieder sind seit dieser Nacht in die SPD eingetreten«, verkündete Schulz. Damit habe man in diesem Jahr rund 24 000 Menschen für die Partei gewonnen. Das nützt allerdings nichts, wenn man zugleich bei den Wählern dramatisch an Zuspruch verliert.

Die SPD will nun als Oppositionspartei versuchen, einstige Unterstützer zurückzugewinnen. Eine wichtige Rolle soll dabei neben Schulz, der Parteivorsitzender bleiben will, Andrea Nahles spielen. Am Montag schlug Schulz die bisherige Arbeitsministerin den Führungsgremien als neue Fraktionschefin vor. Amtsinhaber Thomas Oppermann tritt nicht erneut an. Präsidium und Parteivorstand nahmen den Vorschlag an. Die endgültige Entscheidung soll am Mittwoch getroffen werden. Dann ist die Vorstandswahl der geschrumpften Fraktion geplant, der noch 153 Abgeordnete angehören.

Doch nicht alle in der SPD sind von diesem Vorgehen begeistert. Der konservative Seeheimer Kreis hätte wohl gerne jemanden aus seinen eigenen Reihen in der Fraktionsführung installiert. Kurz vor der Nominierung von Nahles sagte der Vorsitzende der Seeheimer, Johannes Kahrs, der »Rheinischen Post«, die neue SPD-Fraktion brauche jetzt Zeit, »die notwendigen personellen Fragen in Ruhe zu diskutieren«.

Nahles ist in der SPD gut vernetzt. Sie war Vorsitzende der Jusos, Bundesvize und Generalsekretärin, bevor sie vor vier Jahren den Ministerposten im Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel annahm. Nahles galt einst als Wortführerin der Parteilinken. Seit einigen Jahren trifft sie aber auch Entscheidungen, die dem konservativen Teil der SPD gefallen. So wurden in ihrer Amtszeit als Arbeitsministerin die Möglichkeiten zur Bestrafung von Hartz-IV-Empfängern verschärft. In der Bundestagsfraktion gehört Nahles der Strömung der Parlamentarischen Linken an und wird dort von denjenigen unterstützt, die sich als »kompromissbereit« oder »gemäßigt« beschreiben würden.

Kritischere linke Sozialdemokraten fühlten sich von den schnellen Personalentscheidungen ihrer Parteiführung überrollt. Der SPD-Verein DL 21 um die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis erklärte am Montag, dass er »keine einsamen personellen Entscheidungen führender SPD-Vertreter« akzeptiere. Stattdessen forderte die DL 21 einen »transparenten Erneuerungsprozess, der die SPD strategisch, strukturell und personell als linke Volkspartei aufstellt, um den beschrittenen inhaltlichen Weg für mehr Verteilungsgerechtigkeit glaubwürdig fortzusetzen«.

Noch deutlicher wurde der Dortmunder Bundestagsabgeordnete Marco Bülow. Er konstatierte, dass vor allem der Markenkern der SPD, »die soziale Gerechtigkeit«, nach den Wahlniederlagen 2009 und 2013 häufig unter die Räder gekommen sei. Die SPD sei von oben nach unten regiert worden. »Es darf nicht sein, dass Fraktions- und Parteispitze wieder vorgegeben werden«, kritisierte Bülow. Der Sozialdemokrat forderte, die Basis bei der Neuausrichtung der Partei stärker einzubinden.

Dass die SPD-Führung sich trotz des verbreiteten Unwohlseins in der Partei bemüht, geschlossen aufzutreten, liegt auch an der Landtagswahl in Niedersachsen. Dort wird es der SPD-Mann Stephan Weil am 15. Oktober schwer haben, sein Amt als Regierungschef zu verteidigen. Auseinandersetzungen in Berlin könnten ihm im Wahlkampf schaden.

Über die Gründe für ihr Wahlergebnis im Bund will die SPD bis zu ihrem Parteitag im Dezember bei Klausuren und Regionalkonferenzen diskutieren. Das Wahlprogramm, in dem ein umfassendes Umverteilungskonzept fehlt, soll weiter Grundlage für die Partei sein. Das Papier sei »sehr gut«, betonte Schulz. Er werde auch künftig im ganzen Land den »Dialog mit den Wählern« suchen. Schulz will seine Mission, die seit der Wahl eigentlich als gescheitert gilt, offenbar unbedingt fortsetzen.

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