Aufbruch oder Absage?

Emmanuel Macrons Reform-Vorschläge für die EU treffen in Frankreich auf Skepsis und Ablehnung / Europas Linksparteien zögern

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 5 Min.

Zum dritten Mal innerhalb eines Monats hat Präsident Emmanuel Macron seine Vorstellungen von einer Neubelebung der Europäischen Union vorgetragen und damit bewiesen, wie wichtig ihm dieses Thema ist. Nach der Botschafterkonferenz im Élysée-Palast Ende August und der Rede vor der Akropolis bei seinem Besuch in Athen hielt Macron am Dienstag in der Pariser Universität Sorbonne vor Studenten aus Frankreich und anderen europäischen Ländern ein vibrierendes Plädoyer für den Europaprozess. Dieser ist seiner Überzeugung nach »zu schwach, zu langsam, zu ineffizient«. Europa müsse »den Völkern zurückgegeben« werden. Nötig seien »tiefgreifende Reformen« über einen Zeitraum, den Macron auf etwa zehn Jahre veranschlagte.

»Ja, wir brauchen jetzt ein enger vereintes, stärkeres und demokratischeres Europa. Wir müssen offen alle Ideen diskutieren und bis zum Mai 2019 entscheiden.« (Jean-Claude Juncker, EU-Kommissionspräsident)

Dabei ließ der 39-jährige Präsident sich auch nicht von Skeptikern beirren, die ihm angesichts des Wahlergebnisses in Deutschland geraten hatten, ambitiöse Europa-Initiativen vorerst zurückzustellen. Die Skepsis rührt daher, dass seine Vorstellungen vor allem bei der FDP - und damit beim möglichen Koalitionspartner Merkels - auf ablehnende Haltung stoßen. Doch dessen ungeachtet machte Macron in seiner Rede zahlreiche Vorschläge für Initiativen, die Europa auf den verschiedensten Gebieten wesentlich voranbringen sollen.

»Das ist eine Vision der Lähmung: Kein Plan für eine demokratische Föderation. Kein Plan B für den Fall, dass Merkel und die FDP nein sagen. Keine Anerkennung der Tatsache, dass die Eurozone die Grundlage von allem ist und alles andere nebensächlich.«
(Yanis Varoufakis, DIEM25)

Diese von Macron am Dienstag unterbreiteten Vorschläge sind: eine gemeinsame Wirtschaftspolitik samt Finanzminister und Budget für die Eurozone sowie die Vereinheitlichung der Steuergesetzgebung. Darüber hinaus hat er sich für die Schaffung einer echten »Sozialunion« mit einheitlichem europäischen Mindestlohn ausgesprochen. Auch möchte Macron eine europäische »Eingreiftruppe« als Kern einer gemeinsamen Verteidigung etablieren. Diese soll die Zusammenarbeit sowohl bei der Terrorbekämpfung qualitativ voranbringen. Auch eine europaweit einheitliche Einwanderungs- und Integrationspolitik hat der französische Präsident vorgeschlagen.

Dafür schwebt ihm unter anderem eine europäische Asylbehörde vor. Außerdem soll die EU-Landwirtschaftspolitik samt dem System der Subventionen gründlich und unter der Maßgabe nachhaltiger Entwicklung überarbeitet werden, die sich auch nicht vor »ökologischem Protektionismus« scheut.

»Was wir nicht brauchen, sind zu viel Staat und neue Steuern. Die Eurozone braucht mehr Wettbewerbsfähigkeit, keine neuen Geldtöpfe.«
(Alexander G. Lambsdorff, FDP)

»Eine solch glaubwürdige und konkrete Europa-Rede hat man in Deutschland schon lange nicht mehr gehört«, kommentierte der grüne Europaparlamentarier Sven Giegold im Anschluss. Auch von dem überwiegend jungen Publikum wurde die Rede begeistert aufgenommen. Unter den Zuhörern befand sich aber auch der heute 70-jährige Grüne Daniel Cohn-Bendit, der sich an die hoffnungsvolle Stimmung der Studentenunruhen vom Mai 1968 in Paris erinnert fühlte, an denen er seinerzeit maßgeblich beteiligt war.

»In der Außen- und Sicherheitspolitik oder auch bei der Handelspolitik wäre eine handlungsfähigere EU durchaus hilfreich. Aber Macrons Pläne für die Eurozone halte ich nicht für richtig.«
(Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts)

»Macrons Rede ist endlich wieder die Vision eines Politikers in Europa, wie sie zuletzt im Jahre 2000 der deutsche Außenminister Joschka Fischer hatte«, sagte er. »Leider hat die französische Linksregierung seinerzeit nicht darauf reagiert und seitdem hat sich Europa ohne Ambitionen treiben lassen.«

»Ich begrüße die Rede des französischen Präsidenten mit Blick auf die starken Aussagen zur Europäischen Verteidigungsunion. (...) Über die Details müssen wir sicher reden, aber die Grundrichtung ist eine gemeinsame.« (Ursula von der Leyen, Bundesverteidigungsministerin)

Während sich der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, unmittelbar nach Ende der Rede euphorisch über Macrons Vision einer Belebung Europas äußerte, waren die Reaktionen in Frankreich unterschiedlich. Jean-Luc Mélenchon, Anführer der Bewegung La France insoumise, urteilte: »Macrons Konzept besteht darin, Frankreich aufzulösen, um es in einem Europa aufgehen zu lassen, das sich aus unterschiedlichsten und wild zusammengeklebten Bruchstücken zusammensetzt - ein Europa mit gemeinsamer aggressiver Verteidigung, ein Europa, das ganz auf den gemeinsamen Markt ausgerichtet ist und wo Frankreich seine eigene Industrie, seine Schule, seine politische Unabhängigkeit aufgibt.« Fast identisch äußerte sich die Parteivorsitzende der rechtsextremen Front National, Marine Le Pen. Sie sagte, Macron wolle »mehr europäische Integration und dass wir noch mehr von unserer Souveränität opfern«.

»Die Kanzlerin begrüßt, dass der französische Präsident mit so viel Elan, mit soviel europäischer Leidenschaft gesprochen hat. Es kommt wie immer auf die konkrete Ausgestaltung an.«
(Steffen Seibert, Sprecher der deutschen Bundesregierung)

Der sozialistische Abgeordnete Olivier Faure beurteilte indes die Erfolgsaussichten der Initiative des Präsidenten skeptisch: »Die Europäische Union funktioniert nicht so, dass sich alle hinter Frankreich und hinter Jupiter einreihen.« Die französischen Gewerkschaften und Unternehmerverbände hielten sich vorerst mit Einschätzungen zurück. Bei der rechtskonservativen Oppositionspartei der Republikaner (LR) schwankte man noch. »Indem er seine Vorschläge für Europa in Frankreich und vor einem vorwiegend französischen Publikum gemacht hat, demonstriert Macron einmal mehr seine Selbstüberschätzung«, erklärte der LR-Abgeordnete Damien Abad. Dagegen meinte sein Fraktionskollege Philippe Gosselin: »Alles, was Europa zu einem neuen Aufschwung verhelfen kann und was nach dem Brexit und angesichts der Skepsis der Europaparlamentarier und der Völker zu einem neuen Schub für die europäische Konstruktion beitragen kann, geht in die richtige Richtung.«

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